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Corona-Krise : Der neue Wert der Arbeit

Nur mit Schutzausrüstung: Dieser Plastikvorhang soll in einem Friseursalon Kunden beim Haarewaschen voneinander trennen. Bild: dpa

In der Corona-Krise kehren bald viele Beschäftigte an ihren Arbeitsplatz zurück. Die mit ihm verbundene Sicherheit genießt im Leben vieler Menschen wieder höchste Priorität.

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          In diesen Tagen dürfen viele Menschen endlich wieder zur Arbeit gehen. Ja, sie müssen nicht, sie dürfen. Denn die Mehrheit wird es vermutlich nicht als Last empfinden, dank der Lockerungsübungen vom Corona-Ausnahmezustand an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, sondern als Privileg – denen gegenüber, die aufgrund familiärer oder gesundheitlicher Einschränkungen vorerst in den heimischen vier Wänden bleiben müssen; und erst recht all jenen gegenüber, die in Kurzarbeit um die berufliche Zukunft bangen oder ihren Job sogar schon verloren haben.

          Vor einem Vierteljahr noch wäre dies undenkbar gewesen. Doch der Corona-Shutdown und seine martialischen Folgen für Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben alles auf den Kopf gestellt. Plötzlich genießt der eigene Arbeitsplatz und die mit ihm verbundene Sicherheit im Leben vieler Menschen wieder höchste Priorität. Arbeit erfährt durch Corona eine neue Wertschätzung.

          Corona wird den Alltag lange bestimmen

          Für Deutschland kommt die Corona-Krise einem ungebremsten Aufprall in einem Rennwagen auf eine Betonmauer gleich. Ein zehn Jahre währender Daueraufschwung hat das Land nicht nur reich und bräsig gemacht, sondern auch in der trügerischen Sicherheit gewogen, es werde wohl auf ewig so weiter gehen. Löhne und Gehälter kannten ebenso wie die Sozialausgaben des Staates nur eine Richtung. Das Wort Arbeitslosigkeit verlor seinen Schrecken und machte dem Fachkräftemangel als Bedrohung Nummer eins am Arbeitsmarkt platz. Doch nun ist alles anders.

          Das Virus und seine Folgen werden eine ganze Generation prägen. Denn auch wenn die Gesundheitskrise in den kommenden Wochen und Monaten zähmbar gemacht werden sollte, wird die aus dem Zwangsstillstand resultierende Wirtschaftskrise auf lange Zeit den Alltag der Menschen bestimmen. Sieht man von der Wirtschafts- und Finanzkrise einmal ab, die Deutschland so gut verkraftet hat wie kaum ein anderes Industrieland, entsprang die letzte große Beschäftigungskrise hierzulande dem Zusammenbruch des Neuen Marktes rund um die Jahrtausendwende. Den Umstrukturierungen in vielen Unternehmen fielen damals Zigtausende Stellen zum Opfer. Der traurige Rekord der Arbeitslosigkeit von mehr als fünf Millionen gemeldeten Arbeitslosen stammt aus jener Zeit.

          Diese Ereignisse haben die Menschen verändert. Vor allem für die damaligen Berufseinsteiger aus der sogenannten Generation X (um 1970 geboren) stellten sie eine nachgerade traumatische Erfahrung dar. Doch auch vielen Babyboomern, die damals voll im Berufsleben standen, rissen nie für möglich gehaltene Massenentlassungen etwa in der Finanzwelt von einem Tag auf den anderen die wirtschaftliche Grundlage unter den Füßen weg.

          Die wirtschaftlichen Pandemie-Folgen könnten ebenfalls für die junge Generation besonders spürbar ausfallen. Wie alle Berufseinsteiger haben auch die nach 1980 geborenen ihre spezifischen Probleme gehabt: befristete Arbeitsverträge, rasant steigende Lebenshaltungskosten oder was auch immer. Nur eines war ihnen als Gruppe fremd: die kollektive Furcht vor Arbeitslosigkeit.

          Im Gegenteil: Wer sich in Schule und Studium gut anstellte, dem stand die Welt offen. Arbeitgeber buhlten mit immer höheren Einstiegsgehältern um die Gunst von Abgängern. In vielen Bewerbungsgesprächen waren die Rollen vertauscht. Teilzeit, Sabbatjahr, Fortbildung? Wer den Kandidatenwünschen nicht nachkam, war schnell aus dem Rennen.

          Wird Corona nun das alles ändern? Vermutlich nicht alles, aber einiges. Die Jüngeren bleiben natürlich aufgrund jahrelanger Geburtenrückgänge vergleichsweise rar und damit für den Arbeitsmarkt interessant. Doch kann derzeit niemand sagen, wie schnell die deutsche Wirtschaft wieder auf die Beine kommt und wie viele Unternehmen und Arbeitsplätze der Shutdown kosten wird. Es könnte Jahre dauern, ehe das Vorkrisenniveau erreicht werden kann.

          Mit der neuen Nüchternheit dürfte auch manche Debatte geerdet werden, die in den fetten Jahren aus dem Ruder gelaufen war. Man denke nur an den fast schon ideologischen Eifer, mit dem so mancher einen Widerspruch zwischen „Work“ und „Life“ heraufbeschwören wollte, den es auszubalancieren gelte.

          In den vergangenen Wochen dürfte vielen Menschen jedoch klar geworden sein, wie fest ihr Arbeitsplatz und ihre Kollegen zu ihrem Leben gehören. Gleichzeitig haben viele Arbeitgeber – gezwungenermaßen – einen Quantensprung gemacht in Sachen Homeoffice und digitalem Lernen. Nun gilt es, aus diesen Erfahrungen neue, flexible Modelle der Arbeitsorganisation zu etablieren. Wenn die Menschen jetzt in ihre Unternehmen zurückkehren, werden sie wohl gerne daran mitarbeiten. Das ist es ihnen wert.

          Sven Astheimer
          Verantwortlicher Redakteur für die Unternehmensberichterstattung.

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