Chinas Fahrradfriedhöfe
JESSICA SADELER03.08.2018 · China ist das bevölkerungsreichste Land der Erde, doch auch an Fahrrädern mangelt es im Reich der Mitte nicht. Es versinkt in Bergen von Leihrädern, die keiner will. Bilder einer Branche, die aus dem Ruder gelaufen ist.
S ie türmen sich am Straßenrand und auf Parkplätzen, vermüllen die Natur und verwandeln chinesische Stadtteile in riesige Fahrradfriedhöfe: China hat ein Leihfahrrad-Problem und es ist gigantisch. Es war im vergangenen Jahr, da sprossen die Mietrad-Start-ups wie Pilze aus dem chinesischen Boden. Neon-grün, quietschgelb oder türkisblau kamen sie daher – und zahlreich. Abermillionen Räder fluteten Chinas Straßen im Wettlauf um Marktanteile in einem Tempo, mit dem die Nachfrage nicht mithalten konnte. Auch die Behörden waren nicht vorbereitet, es fehlte an Infrastruktur und Gesetzen. Wer sich ein Fahrrad mietete, stellte es später unbedacht irgendwo wieder ab, Straßen und Gehwege quollen über.
Nach der anfänglichen Überrumpelung reagierten die Behörden dann schnell: Gesetze wurden erlassen, die Industrie reguliert und herrenlose Räder zu Tausenden beschlagnahmt. Zahlreiche Unternehmen haben mittlerweile Insolvenz angemeldet und ihre Räder dem Verfall überlassen. Heute gehören riesige Fahrraddeponien mit gepfändeten und verlassenen Leihrädern zum Stadtbild vieler chinesischen Gemeinden. Sie suchen nun nach schnellen Lösungen: Einige wollen die Räder aufpolieren und an Nachbarstädte verteilen. Andere haben die Schrottpressen angeworfen – Tausenden teils nagelneuen Rädern droht ein Schicksal als zusammengepresstes Paket aus Gummi und Aluminium.
Ihre Beliebtheit haben die Drahtesel zum Mieten dennoch nicht eingebüßt. Der Markt wird weiter wachsen, jedoch, man darf es hoffen, in einem etwas nachhaltigeren Tempo. In der Zwischenzeit gehen die Bilder der Fahrradfriedhöfe um die Welt – von oben spektakulär anzusehen, sind sie nüchtern betrachtet ein eindrückliches Beispiel deutlich verfehlter Erwartungen.
Quelle: F.A.Z.
Veröffentlicht: 03.08.2018 13:50 Uhr
