F.A.Z. Exklusiv : Bundesregierung will Klimaneutralität bis zum Jahr 2050
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Windräder vor einem Kohlekraftwerk Bild: dpa
Bundeswirtschafts- und Energieminister Peter Altmaiers Pläne sind ambitionierter als bisher bekannt. Langfristig soll die deutsche Energieerzeugung allein durch erneuerbare Energien erfolgen.
„Ü 20“, das ist nicht nur die Bezeichnung für eine Party mit Teilnehmern, die älter als zwanzig Jahre sind. Es ist auch eine neue wichtige Chiffre in der Energiewirtschaft. So werden Anlagen zur Ökostromerzeugung genannt, die nach 20 Jahren Förderung im kommenden Jahr aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) herausfallen. Viele der alten Windräder und Photovoltaikanlagen sind durchaus in der Lage, weiterhin Strom zu erzeugen. Doch ohne Finanzhilfen und staatlich geebnetem Zugang zum Netz lohnt sich ihr Weiterbetrieb nicht. Das Schlagwort „Ü 20“ spielt deshalb eine zentrale Rolle in der geplanten Neuordnung des EEG.
Der federführende Bundeswirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier (CDU) hat einen Entwurf des überarbeiteten Gesetzes in die Ressortabstimmung gegeben, Ende September könnte die Novelle vom Bundeskabinett verabschiedet werden und dann ins parlamentarische Verfahren gehen (F.A.Z. vom 26. August). Bekannt war von Altmaiers Plänen bisher, dass sich die Ausbauziele für die Ökostromerzeugung am „Klimaschutzprogramm 2030“ der Koalition orientieren. Die dort festgelegte installierte Mindestleistung soll im Referenzjahr zum Teil noch übertroffen werden. Wie aus einem der F.A.Z. nun vorliegenden Papier hervorgeht, soll die deutsche Energieerzeugung bis zum Jahr 2050 sogar komplett klimaneutral werden.
Schon bekannt ist ein geplanter „Südbonus“, um mehr klimaschonende Anlagen außerhalb des windreichen Nordens zu errichten. Auch sollen Kommunen direkt finanziell von Windkraftparks profitieren können, um deren Akzeptanz zu erhöhen. Zum Thema „Ü20“ indes scheint es noch keine klare Strategie zu geben.
Um auf das „EEG 2021“ möglichst schnell und umfangreich Einfluss zu nehmen, positionieren sich jetzt nach und nach die Interessengruppen. Am Montag äußerte sich der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE). Er verwies darauf, dass zum 1. Januar rund 18 000 kleine Ü-20-Solaranlagen mit rund 75 Megawatt (MW) Leistung keinen Anspruch mehr auf die Einspeisevergütung hätten. In fünf Jahren seien es 128 000 Einheiten mit 1100 MW. Im Sinne des Klimaschutzes und der Energiewende müssten sie aber unbedingt weiterbetrieben werden. Etwa durch eine erleichterte Direktvermarktung, durch Auffanglösungen und durch die Befreiung von der EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch.
In der Windkraft falle bis 2025 sogar ein Viertel der gesamten bisher installierten Leistung aus der Förderung heraus, insgesamt 16 000 MW. Ohne eine Anschlussregelung nach Auslaufen des EEG ließen sich diese Windräder nicht wirtschaftlich betreiben, was das Erreichen der Klimaziele erschwere, bemängelt der Bundesverband. Tatsächlich betragen die Betriebskosten der alten Anlagen nach Angaben der Agentur „Wind an Land“ mindestens 36 Euro je Megawattstunde. Am Spotmarkt der Strombörse kostet eine Megawattstunde aber kaum 30 Euro.
Kritikerin fehlt der „Wumms“
„Die aktuellen Bedingungen sind in keiner Weise ausreichend, um den bevorstehenden Herausforderungen des Klimaschutzes und der Energiewende zu begegnen“, so BEE-Präsidentin Simone Peter. Bei der Vorstellung eines Positionspapiers des Verbands zum EEG forderte auch Claudia Kemfert, Leiterin der Energieabteilung im Wirtschaftsforschungsinstitut DIW, dass das „Ausbautempo der erneuerbaren Energie deutlich erhöht“ werden müsse. Nur so ließen sich die Klimaziele erreichen und eine Ökostromlücke vermeiden. Statt 65 Prozent, wie von der Bundesregierung geplant, müssten 2030 mindestens 75 Prozent des deutschen Bruttostromverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen. Dafür sei es nötig, jedes Jahr Solaranlagen mit einer Leistung von 9800 MW, Wind-Onshore-Anlagen mit 5900 MW und Offshore-Mühlen mit 25 000 MW zu bauen.
Das Konjunkturprogramm der großen Koalition sei bei Investitionen in den Klimaschutz und in die Energiewende zu zurückhaltend, kritisierte die Wirtschaftsprofessorin. Hingegen könnte ein echtes „grünes“ Konjunkturprogramm 400 000 neue Arbeitsplätze schaffen. „Es fehlt der ökologische Wumms“, sagte Kemfert in Anspielung auf Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).