Bundeshaushalt : Ist die Neuverschuldung in Wahrheit viermal so hoch?
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Im Plenarsaal: Finanzminister Christian Lindner Bild: dpa
Kommende Woche beginnen die Beratungen über den Bundeshaushalt. Für den Rechnungshof ist die offiziell ausgewiesene Neuverschuldung von 17,2 Milliarden Euro bestenfalls die halbe Wahrheit.
Für den Bundeshaushalt nähert sich die Stunde der Wahrheit, kommenden Dienstag beginnt der Bundestag mit seinen Beratungen. Wegen eines Trauerfalls in der Familie wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Zahlenwerk nicht selbst vorstellen, das übernimmt der Parlamentarische Staatssekretär Florian Toncar (FDP). Der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Otto Fricke, erwartet die „härtesten und umfangreichsten Haushaltsberatungen seit 2002“, wie er im Gespräch formuliert. Er nennt drei Gründe. Erstens habe Corona Nachwirkungen. Zweitens sei das dritte Entlastungspaket noch nicht wirklich berücksichtigt. Drittens gebe es starke Veränderungen beim Wirtschaftswachstum und der Inflation seit dem Kabinettsbeschluss.
Bevor die Abgeordneten nächste Woche insgesamt vier Tage über die Pläne der Ampel debattieren, hat der Bundesrechnungshof die Finanzplanung analysiert – und schlägt Alarm. „Budgetflüchtige“ Ausgaben verzerrten das Bild, kritisiert er in seinem Bericht vom 1. September an den Bundestags-Haushaltsausschuss: „Entgegen der Darstellung im Haushaltsplan und in der Finanzplanung bleiben die Ausgaben des Bundes unter Einbeziehung der Sondervermögen stark expansiv.“
Verschleierte Kreditaufnahme hat mehrere Ursachen
Damit nicht genug. Wie die Rechnungsprüfer hervorheben, ist die echte Kreditaufnahme des Bundes viermal höher als im Gesetzentwurf ausgewiesen, den das Kabinett vor der Sommerpause beschlossen hat. Unter den Eckdaten ist dort die Zahl 17,2 Milliarden Euro fett für 2023 gedruckt. Für die Folgejahre sind zwischen 12 und 14 Milliarden Euro eingeplant. Dies entspreche der regulären Obergrenze nach der Schuldenregel im Grundgesetz. Für den Bundesrechnungshof ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Neben der ausgewiesenen Neuverschuldung nehme der Bund weitere Kredite in erheblichem Umfang auf, betont er. „Als Folge verschiedener Entscheidungen erscheinen sie nicht im Bundeshaushaltsplan, obwohl sie zu einer weiteren Nettokreditaufnahme führen.“
Die verschleierte Kreditaufnahme hat mehrere Ursachen. Dazu gehört erstaunlicherweise auch die Nutzung der Rücklage. Als der Bund 2015 bis 2019 Überschüsse machte, nutzte er diese, um weniger fällige Kredite durch neue zu ersetzen. Es liegt daher kein Geld auf einem Konto.
„Völlig intransparent
Die Rücklage ist vielmehr eine Art Kreditermächtigung ohne Verfallsdatum – und ohne spätere Berücksichtigung in der Schuldenregel. Nächstes Jahr will die Ampel den größten Teil nutzen, 40,5 Milliarden von den 48,2 Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt im Rahmen der Schuldenregel werden zudem die Kreditbedarfe der Sondervermögen. Grund ist die geänderte Buchungspraxis, nun geht es um die Zuführungen an die Nebenhaushalte, nicht mehr um den Zeitpunkt der Kreditaufnahme. Schließlich wurde das Sondervermögen Bundeswehr so gestaltet, dass seine Kredite von der Schuldenregel ausgenommen sind.
Nach den Planungen der Regierung werde sich der Bund 2023 mindestens mit 78,2 Milliarden Euro neu verschulden, schreibt der Rechnungshof. Die unabhängige Behörde nennt dies „echte Kreditaufnahme“. Sie dringt auf mehr Transparenz. Die Regierung lehnt das ab. Das Finanzministerium verweist auf den traditionell mitgelieferten Kreditfinanzierungsplan. Doch nach Ansicht der unabhängigen Behörde reicht es nicht, entscheidende Informationen an unterschiedlichen Stellen aufzuführen.
„Der Bundeshaushalt wird durch die von der Ampel eingeführte neue Buchungsregel für Sondervermögen völlig intransparent“, bemängelt auch Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg. Auf die offiziell ausgewiesenen Ausgaben in einem Haushaltsjahr kämen Summen unbekannten Ausmaßes hinzu, sagte er der F.A.Z. „Dies kritisiert der Bundesrechnungshof, und dies kritisieren wir mit unserer Klage in Karlsruhe.“ Der Bundesfinanzminister müsste eigentlich die Haushaltsprinzipien von Wahrheit und Klarheit hochhalten. „Leider tut er dies nicht.“