Bundesfinanzhof : „Die Finanzämter sind mit dem Steuerrecht überfordert“
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Rudolf Mellinghoff Bild: picture alliance / BREUEL-BILD
Deutschlands oberster Steuerrichter Rudolf Mellinghoff hält viele Gesetze für schlecht gemacht. Der neue Präsident des Bundesfinanzhofs glaubt, dass sie kaum durchgesetzt werden können. Zudem erzählt er im Interview, wer dem Staat Daten-CDs angedient.
Sie sind vom Bundesverfassungsgericht an den Bundesfinanzhof zurückgekehrt, nun als dessen Präsident. Was bringen Sie aus Karlsruhe an neuen Perspektiven mit nach München?
Die Kenntnisse der Verfassungsrechtsprechung und die praktischen Erfahrungen aus dem bisherigen Amt. Dadurch habe ich natürlich eine besondere Sensibilität hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Fragen. Diese Sensibilität ist aber am BFH ohnehin hoch ausgeprägt - wir haben ja gerade erst wieder eine Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, diesmal zur Körperschaftsteuer. Und kurz zuvor haben meine Kollegen das Bundesfinanzministerium aufgefordert, einem Rechtsstreit um die reformierte Erbschaftsteuer beizutreten. Man wird sehen, ob sie diesen Fall hinterher ebenfalls in Karlsruhe vorlegen werden.
Wird das Steuerrecht nicht mitunter zu sehr verfassungsrechtlich überinterpretiert und der Politik damit Handlungsspielraum genommen?
Dass man die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Grundgesetz prüft, halte ich für völlig legitim. Und wenn Sie die Erfolgsquoten der Vorlagen des BFH beim Bundesverfassungsgericht sehen, dann sieht man, dass tatsächlich Anlass zu einer gründlichen Prüfung besteht. Eine der Ursachen liegt auch in der Häufigkeit und der unzureichenden Qualität der Gesetzesänderungen im Steuerrecht. Aber trotzdem sollte man zunächst einmal davon ausgehen, dass der Bundestag bemüht ist, ein verfassungsgemäßes Steuerrecht zu verabschieden. Man sollte nicht jede steuerrechtliche Frage zur Verfassungsfrage erklären.
Mehrere Ihrer Vorgänger haben Appelle an die Politik gerichtet, das Steuerrecht systematischer und gleichmäßiger, gerechter und einfacher auszugestalten ...
Der wohl dringendste Bedarf besteht neben diesen berechtigten Zielen bei der Vollziehbarkeit. Denn bei der hohen Komplexität und Differenziertheit des geltenden Steuerrechts stellt sich die Frage, ob die Finanzämter die Vorschriften überhaupt noch wirksam vollziehen können. Die Überforderung durch das geltende Recht kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass häufig nur noch entsprechend der Steuererklärung veranlagt wird.
Sie sind ein Schüler des früheren Bundesverfassungsrichters Paul Kirchhof, der mehrfach Vorschläge für eine radikale Reform der Steuergesetze vorgelegt hat. Schließen Sie sich den Vorschlägen an?
Das Ziel, das Steuerrecht auf dessen grundlegende Ideen zurückzuführen, unterstütze ich vorbehaltlos. Man muss aber im Einzelnen immer schauen, ob jedes Detail diese Erwartungen erfüllt. Und die Phase des Übergangs zu dem neuen Recht muss bewältigt werden.
Ihr Sechster Senat hat in einer Reihe von Entscheidungen die Position betroffener Steuerzahler verbessert, was allerdings die anderen Steuerzahler mitbezahlen müssen. Die aufsehenerregendste davon - die Absetzbarkeit von Erststudium und Erstausbildung - hat der Bundestag nun zurückgedreht. War das mangelnder Respekt vor dem Gericht, oder ist der BFH zu weit vorgeprescht?
Es steht mir nicht an, die Rechtsprechung meiner Kollegen zu kritisieren. Man muss aber beachten, dass die Auffassung, die der Sechste Senat nun gefunden hat, von einer sehr langjährigen Rechtsprechung abweicht. Von daher muss eine Korrektur der Rechtsprechung durch den Gesetzgeber hier anders bewertet werden, als wenn er eine Rechtsprechung ändert, bei der diese Voraussetzung nicht gegeben ist. Ich halte den Gesetzgeber jedenfalls im Wege der Gewaltenteilung durchaus für befugt, Korrekturen vorzunehmen.
Aber auch die Exekutive versucht regelmäßig, Ihre Rechtsprechung auszuhebeln. Für Ihren Vorgänger Wolfgang Spindler waren diese Nichtanwendungserlasse des Bundesfinanzministeriums ein rotes Tuch . . .