Besuch am Fließband : Als Opel noch revolutionär war
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Im Blaumann: Tom Koenigs macht Pause mit Bier. Im Hintergrund Adam Opel Bild: Frank Röth
Die 68er wollten die Autoindustrie vergesellschaften. Und gingen dafür ans Fließband. Doch die Arbeiterschaft war für alternative Lebensformen im Kollektiv kaum zu begeistern. Ein ehemaliger Revolutionär erinnert sich.
Tom Koenigs ist wahrhaft kein Autonarr. Ein Auto hat der Politiker der Grünen, der einmal Stadtkämmerer von Frankfurt und später Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen war, in seinem Leben nur sehr kurzzeitig besessen. Auch heute, mit 65 Jahren, hat er keines, schon gar keinen Opel. Trotzdem hat Koenigs in seiner Jugend einmal bei Opel gearbeitet - am Band.

Redakteur in der Wirtschaft.
Es waren andere Zeiten, damals Anfang der siebziger Jahre. Studenten probten den Aufstand gegen die Autoritäten, viele begeisterten sich für den Sozialismus und wollten eine neue Arbeiterbewegung in Gang bringen. Koenigs gehörte zur anarchistischen Gruppe "Revolutionärer Kampf", die sich in Frankfurt gegründet hatte. Dass er überhaupt unter die Opel-Arbeiter ging, hat damit zu tun. Denn die Gruppe - zu der unter anderen auch die Politiker Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer gehörten - wollte die Revolution in die Betriebe bringen. "Wir dachten: Die Revolution muss von den Betrieben ausgehen", sagt Koenigs. Da Opel zu dieser Zeit größter Industriebetrieb der Gegend war, wählte man ihn als Einsatzort. "Die Frauen machten ein Parallelprojekt bei Neckermann."
„Die haben quasi jeden eingestellt“
Koenigs ließ sich bei Opel anstellen. "Das war nicht besonders schwierig", sagt er. "Die haben Leute gesucht und quasi jeden eingestellt." Dass er studiert hatte, war für die Anstellung kein Handicap, linke Meinungen auch nicht. Allerdings konnten andere wie Cohn-Bendit, der schon als aufrührerisch bekannt war, nicht bei Opel arbeiten. "Die hatten Sorge, dass er Ärger machen würde. Deswegen hat er nur vor dem Werkstor Flugblätter verteilt."
Der 9. Mai 1972 war Koenigs' erster Arbeitstag - und er ist stolz auf die anderthalb Jahre, die er in Rüsselsheim am Fließband stand. Wer ihn in seiner Frankfurter Wohnung besucht, dem zeigt er sein altes Zeugnis aus Opel-Zeiten, das Etui für die Opel-Schutzbrille und Fotos, auf denen er zu sehen ist, wie er im Blaumann mit seinen Kollegen vor der Statue von Adam Opel Bier trinkt. Und er erzählt von seiner Zeit unter den Arbeitern.
Koenigs arbeitete als Schweißer am Fließband. Er musste für die Schweißnaht, die er an jedem der rund 550 Autos pro Schicht machen sollte, einige Meter gehen, denn das Band fuhr weiter, während er arbeitete. Zunächst war das schwierig. Er konnte den Takt nicht halten, sorgte für Löcher in den Karosserien. Doch schon bald war er so routiniert, dass er nebenher noch im "Spiegel" lesen konnte, erzählt er - immer in den kurzen Sekunden, die er schneller mit der Schweißnaht fertig war als vorgesehen. Erhobenen Hauptes trug er die 1000 Mark, die er im Monat bei Opel verdiente, nach Hause in die Wohngemeinschaft in Frankfurt, die nicht nur die Wohnung, sondern auch das Geld teilte.
Anhänger des „revolutionären Kampfs“ gab es unter den Arbeitern kaum
Mit Koenigs waren mehrere Mitglieder des "Revolutionären Kampfs" in der gleichen Schicht. Sie führten politische Diskussionen in ihren Abteilungen, sprachen auf Betriebsversammlungen und ließen sich zu gewerkschaftlichen Vertrauensleuten wählen. Doch während die Arbeit mit der Zeit routiniert von der Hand ging, gelang es der Gruppe kaum, viele Anhänger für den revolutionären Kampf zu gewinnen. "Die Arbeiterschaft war damals ziemlich konservativ", sagt Koenigs. "Wir wollten sie auch für alternative Lebensformen, für das Zusammenleben im Kollektiv begeistern - doch dafür waren sie nicht zu haben."
Besser kam es an, wenn Probleme aus dem Betrieb in der Zeitung thematisiert wurden, die die Gruppe herausgab. Ein wichtiges Gesprächsthema war zum Beispiel die Geschwindigkeit des Bandes oder die Länge der Pausen. Damals war die Mittagspause nicht bezahlt. Und wer auf die Toilette musste, hatte sich zu beeilen, da in der Zwischenzeit jemand für ihn einsprang. "Auf dem Klo hatten sie an die Wand geschmiert: ,Fünf Minuten scheißt 'n Hund, 'n richt'ger Opler scheißt 'ne Stund'", erzählt Koenigs. "Nix da, man musste sich sputen."
Die Realität war weit entfernt von den politischen Träumen der Männer um Koenigs. Ihre Utopien waren radikal, für viele Opelaner allzu radikal. "Wir wollten die Bandarbeit, die wir für entwürdigend hielten, abschaffen. Wir stellten uns eine Fertigung in Arbeitsgruppen vor, wie es die Schweden bei Volvo machten", sagt Koenigs.
„Aura von Jugendlichkeit und Lässigkeit“
Außerdem träumte die Gruppe von der Vergesellschaftung der Produktionsmittel: "Nicht der Staat sollte Opel übernehmen, sondern die Arbeiter sollten die Betriebe als Kollektiv führen." Als besonders schwierig schildert Koenigs in jener Zeit die Auseinandersetzungen mit den Gruppen, die sich für den bewaffneten Kampf entschieden hatten.
Der Terrorist Hans-Joachim Klein etwa war früher einmal in Koenigs' Gruppe gewesen, erzählt er. Obwohl der "Revolutionäre Kampf" versuchte, bei Opel ordentlich auf den Putz zu hauen, fühlte Koenigs sich unter den Arbeitern nie als Außenseiter. "Wir waren anders, aber die anderen auch." Damals arbeiteten etwa Männer aus Jugoslawien, Spanien und der Türkei bei Opel, die kaum Deutsch sprachen. "Am Band waren alle gleich", sagt Koenigs. "Keiner, der damals dabei war, hat später gesagt, das war verlorene Zeit. Das hatte auch so eine Aura von Jugendlichkeit und Lässigkeit."