Beschäftigung und Soziales (14) : In engem Korsett
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Bild: F.A.Z.
Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik der EU ist ein Kompromiß aus den widerstrebenden Tendenzen, alles übergreifend regeln zu wollen und die Kompetenzen der EU maximal zu beschneiden.
Manchmal ist auch in der Europäischen Union der Wunsch der Vater des Gedankens. Anders läßt sich kaum erklären, daß die am Freitag vergangener Woche in Rom unterzeichnete EU-Verfassung in Artikel I-3 als eines der Hauptziele eine "soziale Marktwirtschaft" nennt, "die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt".
Wer den Text mehrmals liest, wird sich allerdings der Spitzfindigkeit der EU-Formulierungskünstler bewußt. Es läßt sich durchaus zwischen einer Politik unterscheiden, die nach Vollbeschäftigung trachtet, und einer Politik, die danach strebt, sich aber der Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten bewußt ist.
Kompetenzen der EU in der Sozialpolitik nicht weiter ausdehnen
Dementsprechend kann es nicht überraschen, daß sich Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften zufrieden mit dem Ende Juni in Brüssel von den Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Länder vereinbarten Text zeigen. Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) gelangte Mitte Oktober bei seiner Bewertung der Verfassung zu dem Fazit, daß es sich um einen Fortschritt hin zu einem "verbesserten europäischen Rahmen" handele.
Aus der Warte der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hörte sich die Bewertung schon Ende Juni verhaltener an: "Aus Sicht der Wirtschaft ist es wichtig, daß die Kompetenzen der EU auf dem Gebiet der Sozialpolitik nicht weiter ausgedehnt wurden."
Folgen der einklagbaren Grundrechte sind nicht absehbar
Grundsätzlich ergeben sich für die Sozial- und Beschäftigungspolitik durch die Verfassung keine grundlegenden Veränderungen. Noch nicht im einzelnen absehbar sind jedoch die Folgen der Eingliederung der Europäischen Charta der Grundrechte in die Verfassung, deren Bestimmungen damit vor Gericht einklagbar werden. Sie enthält auch eine Reihe sozialer Grundrechte, zum Beispiel auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen (Artikel II-92), Schutz bei ungerechtfertigter Entlassung (Artikel II-91) oder auch - ungeachtet der einzelstaatlichen Zuständigkeiten - das Streikrecht (Artikel II-88).
Die wichtigsten Etappen bei der Ausgestaltung einer europäischen Sozialpolitik fallen mit den Verträgen von Maastricht (1992) und Amsterdam (1997) zusammen. Der Vertrag von Maastricht dehnte die zuvor vor allem auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz begrenzte Zuständigkeit der Gemeinschaft aus. Allerdings hatte sich die konservative britische Regierung eine Ausnahmeklausel ausbedungen, so daß das Sozialkapitel mit erweiterten Befugnissen erst sieben Jahre später auch zur Vertragsrealität wurde.
Enge Grenzen für eine koordinierte Beschäftigungsstrategie
Schon damals hatten die in Maastricht vereinbarten Bestimmungen zur Anerkennung des sogenannten Sozialen Dialogs und der Rolle der Sozialpartner erste Wirkung gezeigt. In Amsterdam erhielt der EU-Vertrag erstmals ein eigenständiges beschäftigungspolitisches Kapital. Der damals in Berlin regierenden Koalition aus Christlichen Demokraten und Liberalen gelang es allerdings, die Zuständigkeiten der EU einzuschränken. Auch die neue Verfassung (Artikel III-203) setzt der "Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie" enge Grenzen. Im Vordergrund stehen Förderung der Qualifizierung und Ausbildung der Arbeitnehmer sowie die Anpassung der Arbeitsmärkte an den wirtschaftlichen Wandel. Klar regelt die Verfassung, daß die EU die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern fördert, unterstützt und erforderlichenfalls ergänzt (Artikel III-205).