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Skandal um Tochtergesellschaft : Bertelsmann zieht Konsequenzen in Großbritannien

Vorkasse-Gaszähler in Cardiff: Der Ärger um Arvato hängt mit dem Einbau dieser Geräte zusammen. Bild: Reuters

Mitarbeiter von Arvato Financial Solutions haben sich mit Gewalt Zugang zu Wohnungen britischer Gaskunden verschafft. Nun lässt das Unternehmen den Betrieb ruhen. Und die Politik fordert Wiedergutmachung.

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          Der Bertelsmann-Konzern zieht nach dem Skandal um die rüden Inkasso-Methoden seines britischen Tochterunternehmens Arvato für British Gas erste Konsequenzen. „Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte hat Arvato Financial Solutions Limited entschieden, das Geschäft ruhen zu lassen“, teilte ein Sprecher von Bertelsmann der F.A.Z. am Wochenende mit.

          Philip Plickert
          Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.

          Mitarbeiter von Arvato hatten Wohnungstüren von säumigen Gaskunden aufgebrochen, um zwangsweise Vorkasse-Gaszähler einzubauen. Darunter waren auch hilfsbedürftige Eltern von Säuglingen oder Menschen mit körperbehinderten Angehörigen. Die Enthüllungen durch die Zeitung The Times hatten zu einem öffentlichen Aufschrei und scharfer Kritik aus der Politik geführt.

          Arvato prüfe nun alle Vorgänge unter Einbindung einer externen Anwaltskanzlei, sagte der Sprecher. „Wir kooperieren vollumfänglich mit den Regulierungsbehörden.“ In Großbritannien hat die Regulierungsbehörde Ofgem Ende der vergangenen Woche alle Versorgungsunternehmen angewiesen, den zwangsweisen Einbau von Prepaid-Gaszählern zu stoppen.

          Die Aufsichtsbehörde prüft die Methoden

          Der Aktienkurs von British Gas fiel nach Bekanntwerden des Skandals durch eine Undercover-Recherche der Times am Freitag um 3 Prozent. British-Gas-Vorstandschef Chris O’Shea musste sich in Interviews demütig für die Vorkommnisse entschuldigen und bezeichnete diese als inakzeptabel. Die Finanzaufsichtsbehörde Financial Conduct Authority (FCA) hat angekündigt, dass sie eine genaue Prüfung der Methoden von Arvato Financial Solutions durchführe.

          Arvato arbeitet in Großbritannien für British Gas und andere Versorger. Die Bertelsmann-Tochtergesellschaft baut bei Kunden im Zahlungsverzug Prepaid-Gaszähler ein. „Für jeden Einbau solcher Zähler lag ein entsprechender Gerichtsbeschluss (warrant) vor“, sagte der Bertelsmann-Sprecher. Für Arvato und alle Tochterunternehmen gelte der „Bertelsmann Code of Conduct“, ein Verhaltenskodex. „Dieser bekräftigt das klare Bekenntnis zur Einhaltung von Recht und Gesetz und unterstreicht die Standards für ein verantwortungsvolles Verhalten“, so der Sprecher.

          Wie viele Mitarbeiter von Arvato und seit wann für British Gas im Inkasso- und Gaszähler-Einbau tätig waren, wollte der Sprecher nicht sagen. Man äußere sich nicht zu Vertragsinhalten. Nach britischen Medienberichten ist die Arvato Financial Solutions Ltd mindestens seit dem Jahr 2017 für British Gas als Subunternehmer tätig. Das Unternehmen beschäftige mehr als 360 Schuldeneintreiber und arbeitet auch für andere Unternehmen wie den Energiekonzern Eon.

          Viele Haushalte sind in einer Notlage

          Im Jahr 2021 machte Arvato Financial Solutions rund 24 Millionen Pfund Umsatz, was etwa 28 Millionen Euro entspricht. Einer der Direktoren des Unternehmens, Andrew Bunting, hat sich in einem Blogbeitrag zu der steigenden Zahl von „vulnerablen“ Kunden im Zahlungsrückstand seit der Pandemie geäußert.

          Der starke Anstieg der Energiepreise hat viele Haushalte in finanzielle Notlagen gebracht. Im vergangenen Jahr gab es gegen mehr als 345.000 säumige Kunden gerichtliche Bescheide zur Pfändung oder zum zwangsweisen Einbau von Vorkasse-Gaszählern. Wenn die Kunden dann nicht mehr zahlen, können Strom und Heizung abgestellt werden. Die Regulierungsbehörde Ofgem schreibt, dass dies bei „vulnerablen“ Gruppen nicht geschehen dürfe.

          Die Recherchen der Times hatten indes ergeben, dass unter den Personen, deren Türen aufgebrochen wurden, auch eine junge Mutter mit einem vier Wochen alten Baby, eine Frau mit geistiger Erkrankung sowie Familien mit körperbehinderten Angehörigen waren. Wirtschafts- und Energieminister Grant Shapps bezeichnete die Enthüllungen als schockierend. Er wies alle Versorger an, bis Dienstag Pläne zur Wiedergutmachung vorzulegen.

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