Bedürftige in Deutschland : In der Praxis ohne Krankenversicherung
- -Aktualisiert am

Die Ärztin Petra Tiarks-Jungk untersucht in der Humanitären Sprechstunde beim Frankfurter Amt für Gesundheit eine junge schwangere Frau Bild: Röth, Frank
Auch in Deutschland leben Menschen ohne eine Krankenversicherung. Gäbe es nicht helfende Ärzte und Spender, hätten viele keine Aussicht auf Gesundung.
Kaum ist ihr Bruder im Behandlungszimmer verschwunden, sackt Magdalena Müller auf ihrem Stuhl zusammen. „Ich bin fix und fertig“, sagt die gebürtige Polin, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte. Seit einiger Zeit macht sie schon Behördengänge mit ihrem Bruder, der schlecht Deutsch spricht, versucht für ihn einen Anspruch auf Sozialhilfe zu erwirken. Bisher ohne Erfolg. Als Hausmann habe er, der seit acht Jahren in Deutschland lebt, nie eigenes Geld verdient. Jetzt ist Müllers Bruder geschieden, arbeitslos und wohnt in einem Keller irgendwo in Frankfurt, erzählt die Schwester. Und seit kurzem stimme irgendetwas mit seinen Muskeln nicht. Er könne kaum gehen, habe Knie wie aus Wachs.
Der Bruder mit den wachsweichen Knien ist nicht krankenversichert. Deshalb sind die beiden heute ins Bürgerhospital im Frankfurter Nordend gekommen, wo die Malteser Migranten Medizin jede Woche eine Sprechstunde für Menschen ohne Versicherungsschutz anbietet. Dort werden sie von ehrenamtlichen Ärzten und Pflegern kostenlos behandelt, mit Medikamenten versorgt, bei Bedarf an Fachärzte überwiesen, die keine Rechnungen ausstellen. Im Notfall käme das Sozialamt für die Behandlungskosten auf, aber ein richtiger Notfall ist dieser Mann mit der Muskelstörung nicht.
Unangenehmer als die Krankheit selbst
In manchen Kommunen bieten auch öffentliche Ämter ärztliche Beratung kostenlos an. Aber es sind vor allem über Spenden finanzierte Hilfsinitiativen wie die in elf Städten vertretene Malteser Migranten Medizin, die Ärzte der Welt in München und das Büro für medizinische Flüchtlingshilfe („Medibüro“) in Hamburg und Berlin, die sich um die medizinische Grundversorgung all derer kümmern, die nicht versichert sind.
Anfangs richtete sich das Angebot an Menschen, die sich in Deutschland „ohne Papiere“ aufhalten, also ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, und ohne Krankenversicherung. Bis zu einer halben Million Menschen könnten es Schätzungen zufolge sein, die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zwar ein Recht auf medizinische Versorgung haben, aber Arztpraxen und Krankenhäuser meiden. Denn sie haben Angst, den Behörden aufzufallen und abgeschoben zu werden.
Obwohl die ärztliche Schweigepflicht seit 2009 auch für das Personal der Verwaltung öffentlicher Krankenhäuser und Sozialämter gilt, ist ungewiss, ob diese Verwaltungsvorschrift in der Praxis immer eingehalten wird; manchmal würden Informationen über die Patienten doch an die Ausländerbehörden übermittelt, sagen die Hilfseinrichtungen. Dann kann ein Klinikbesuch für Papierlose unangenehmer werden als die Krankheit selbst.
Kommunikation mit Händen und Füßen
Auch für die Krankenhäuser ist die Situation kompliziert: Sollen die Behandlungskosten vom Sozialamt erstatten werden, müssen sie die Bedürftigkeit der Patienten selbst prüfen. Stimmen die Behörden später nicht zu, bleiben die Häuser auf den Kosten sitzen, sagt ein Sprecher der Hessischen Krankenhausgesellschaft. Wenn Hilfseinrichtungen für die Behandlungen und Operationen aufkommen, fragt das Klinikpersonal nicht nach der Identität der Kranken.
Etwa die Hälfte der Patienten stammt nach Angaben der Initiativen aus Afrika, Lateinamerika und Asien und sind illegal im Land. Mittlerweile kämen aber etwa genauso viele Bürger aus den neuen EU-Beitrittsländern in die Sprechstunden. Menschen wie der Bruder von Magdalena Müller, vor allem aber Bulgaren und Rumänen, die in Deutschland keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen dürfen, weil für sie die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit nur eingeschränkt gilt. So ist es auch bei der kleinen, untersetzten Frau mit rumänischem Pass, die an diesem Nachmittag in der Sprechstunde der Malteser erschienen ist. Mit den 400 Euro, die sie als Putzkraft verdiene, könne sie sich die monatlichen Tarife der Kassen nicht leisten, verteidigt sich die Vierundvierzigjährige in gebrochenen Sätzen.