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BAG-Präsidentin Schmidt : „Vorsitzende im   Verein der klaren Ansage“

Geht mit einem Lachen im Gesicht: Ingrid Schmidt Bild: dpa

16 Jahre lang stand Ingrid Schmidt an der Spitze des Bundesarbeitsgerichts. Nun geht die Kämpferin für Parität in den Ruhestand.

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          Die Flaggen sind gehisst auf dem Petersberg, hoch oben über der Altstadt von Erfurt. Schwere, dunk­le Limousinen parken vor dem Bundesarbeitsgericht, Polizei sichert die Zugangswege. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hält ein Grußwort. Im Publikum sitzen Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, und Bettina Limperg, Präsidentin des Bundesgerichtshofs. Aus Berlin ist Bundesarbeitsminister Hubertus Heil angereist. Die Euphorie, aber auch die Anspannung nach einem langen Bundestagswahlkampf sind dem SPD-Politiker anzumerken. Ihm fällt an diesem Freitag die Rolle des Gastgebers zu, um in einem würdigen Rahmen die eigentliche langjährige Hausherrin zu verabschieden: Nach 27 Jahren als Richterin am Bundesarbeitsgericht, davon 16 Jahre als Präsidentin, wird Ingrid Schmidt mit einem Festakt in den Ruhestand verabschiedet.

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          Marcus Jung
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Deutlich mehr als zwei Jahrzehnte prägende Rechtsprechung vor allem als Vorsitzende Richterin zu Themen im Tarif- und Arbeitskampfrecht, länger in einer Spitzenposition im Amt als die nun ebenfalls scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel – der Ruhestand von Schmidt mar­kiert das Ende einer Epoche. Nur ei­ner ihrer Vorgänger, Gerhard Müller, hat es auf ein Jahr mehr im Amt ge­schafft. Zu­dem ist Schmidt die erste Frau in dieser Position gewesen. Was im Jahr 2021 eine Selbstverständlichkeit ist, galt über Jahre nicht für das Bundesarbeitsgericht. Wer durch die Ahnengalerie in einem der oberen Stockwerke des Gerichts schlendert, sieht auf den Bildern ein wiederkehrendes Muster: Grauhaarige Männer in den typischen karmesinroten Roben, na­­hezu alle kamen aus Westdeutschland. Wenn es in Gesprächen um die Chancengleichheit von Frauen und Männern so­wie die Vereinbarkeit von Beruf und Fa­milie ging, konnte Schmidt, selbst Mutter zweier heute erwachsener Kinder, scharf reagieren. Bei einem Mann wäre eine Kar­riere wie ihre „trotz Kinder“ nie hinterfragt worden, so ihre Antwort in ei­nem Interview. Schmidt ist die Eisbrecherin für das Bundesarbeitsgericht ge­we­sen. Als sie ihr Richteramt 1994 an­trat, gab es gerade mal vier Richterinnen in den Senaten. Am Ende ihre Ägide ur­teilen 18 Richterinnen von insgesamt 38 in Erfurt, bis zu ihren Ausscheiden wurden fünf der zehn Senate von Frauen geleitet. Schmidt hat über die Jahre nicht nur leidenschaftlich für die Parität de­battiert. Sie hat sie mit ihrer Personalpolitik am Bundesarbeitsgericht tatsächlich auch erreicht.

          Keine gute Idee

          „Von dieser gelebten Gleichstellung können sich die freie Wirtschaft und viele andere eine Scheibe abschneiden“, lobt sie Heil in seiner Rede, damit sei sie ein großes Vorbild für junge Juristinnen. Fachlich exzellent, tief in ihren Sach­themen und eine starke Führungspersönlichkeit sei die scheidende Präsidentin gewesen – und immer mit einer klaren, offenen Meinung gegenüber der Bundespolitik. „Sie sind die Vorsitzende im Verein der klaren Ansage!“

          Mit sechs verschiedenen Arbeits- und Sozialministern, darunter auch Olaf Scholz, hatte es Schmidt in den vergangenen 16 Jahren zu tun. Ursprünglich startete die Südhessin ihre Richterlaufbahn im Sozialrecht, wo sie zuletzt am Landessozialgericht in Darmstadt tätig war. Ei­ner ihrer Förderer war der frühere Verfassungsrichter Thomas Dieterich. Für ihn arbeitete Schmidt Anfang der Neunzigerjahre als Wissenschaftliche Mitar­beiterin während ihrer Abordnung nach Karlsruhe. Als Dieterich 1994 Präsident des damals noch in Kassel ansässigen Bun­desarbeitsgerichts wurde, folgte sie wenige Monate später nach. Das war ihr endgültiger Wechsel von der Sozial- in die Arbeitsgerichtsbarkeit.

          Ihren Abschied kommentiert Schmidt als eine „Zäsur“. Sie blicke zurück in Zu­friedenheit, auf die Zukunft sehe sie mit einem gewissen Optimismus. Deutlich erfreuter wäre sie allerdings, das be­tont Schmidt, wenn Minister Heil aus Berlin gleich eine Ernennungsurkunde für ih­re Nachfolge mitgebracht hätte. Dass der Posten zunächst vakant bleibt – wie derzeit auch am Bundesfinanzhof und Bundesverwaltungsgericht – hatte Schmidt über Monate hinweg stark kri­tisiert. An Heil selbst liegt es nicht, sein Mi­nisterium hat einen Vorschlag unterbreitet, doch noch sperrt sich die CDU. So belässt es Schmidt bei einer letzten klaren Botschaft an das Kabinett in Berlin: „Präsidentenstellen an den Bundesgerichten als schiere Verfügungsmasse der politischen Verständigung zu begreifen ist keine gute Idee.“ Dann tritt sie ab.

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