40 Mikrogramm je Kubikmeter : Ein umstrittener Grenzwert
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Bald dieselfrei? Wie geht es weiter mit der A40 in Essen? Bild: dpa
Nach dem neuesten Urteil zu Fahrverboten für ältere Diesel im Ruhrgebiet rückt der strikte Grenzwert für Stickstoffdioxid verstärkt in den Fokus. Ist dieser „völliger Unsinn“?
Das neueste Fahrverbots-Urteil im Ruhrgebiet für ältere Dieselfahrzeuge schlägt hohe Wellen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sowie weitere Politiker und Vertreter der Kommunen griffen das Urteil an, das auch einen Abschnitt der Autobahn A 40 betrifft, die durch Essen führt und als „Lebensader des Reviers“ gilt. Scheuer warnte in einem Interview: „Urteile wie diese gefährden die Mobilität von Hunderttausenden Bürgerinnen und Bürgern. Niemand versteht diese selbstzerstörerische Debatte.“ Das Urteil bezeichnete er als „unverhältnismäßig“. Auch der FDP-Bundestagsfraktionsvize Frank Sitta bezeichnete das Gerichtsurteil als „völlig absurd“ und bezweifelte die Verhältnismäßigkeit. Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, sagte, so könne es nicht weitergehen.

Redakteur in der Wirtschaft.
Die Kritik an der Verhältnismäßigkeit des Urteils zielt auf die teils geringfügigen Überschreitungen des EU-Grenzwertes von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid je Kubikmeter Luft, die in den Augen der Kritiker viel zu einschneidende Maßnahmen nach sich ziehen. Schon für zwölf Städte haben Richter angeordnet, klein- oder großflächige Fahrverbote einzuführen. Diese Reihe von Urteilen, die Hunderttausende Dieselfahrer in Großstädten betrifft, befeuert die Debatte darüber, ob der 40-Mikrogramm-Grenzwert überhaupt sinnvoll ist.
„Aus medizinischer Sicht völliger Unsinn“
„Aus medizinischer Sicht ist der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter völliger Unsinn“, argumentierte kürzlich Alexander Kekulé, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Virologie an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg, im Magazin „Zeit Doctor“. Die Menge des Stickstoffdioxids in unserer Luft sei weder giftig noch krebserregend. „Asthmatiker reagieren bei Werten oberhalb von 180 Mikrogramm je Kubikmeter mit einer leichten Schleimhautreizung. Bei Gesunden hingegen gibt es bis 1000 Mikrogramm je Kubikmeter keinen messbaren Effekt.“
Deshalb habe die amerikanische Umweltbehörde EPA den Grenzwert für Außenluft auf 100 Mikrogramm je Kubikmeter festgesetzt – das Zweieinhalbfache des europäischen Grenzwerts. Kekulé argumentiert zudem, dass EU-Mitarbeiter 1999 den Wert von 40 Mikrogramm ungeprüft von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) übernommen hatten. Doch tauge er nicht, um ihn auf den Straßenverkehr zu übertragen. Der Grund: Der Wert beruhe auf älteren Studien, die den Einfluss von Gasherden in Wohnungen auf die Atemwegsprobleme von Schulkindern ermitteln sollte. Zudem handele es sich um einen Schätzwert.
Die WHO wiederum gibt seit mehr als zwei Jahrzehnten an, dass der Grenzwert im Jahresmittel 40 Mikrogramm betragen solle. Sie räumt selbst ein, dass es keine besonderen Studien gebe, die diesen Wert belegen. Doch die Datenbasis diverser Untersuchungen zeigt laut WHO, dass es dennoch einen Bedarf gebe, die Öffentlichkeit nicht dauerhaft Stickstoffdioxid auszusetzen. Mangels Unterstützung eines anderen Wertes könnten 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft durchaus als Grenzwert angesehen werden, heißt es in der zweiten Auflage der WHO-Luftqualitätsrichtlinien, die fast 20 Jahre alt sind.
Allerdings gibt es Mediziner, die Kekulés Kritik nicht teilen. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts zur generellen Zulässigkeit von Fahrverboten im Frühjahr lobte zum Beispiel der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner die Entscheidung der Leipziger Richter. Das Urteil sei ein „wichtiger Schritt in die richtige Richtung für unsere Patienten“, äußerten die Spezialisten für Lungenerkrankungen. Zudem fordere die WHO inzwischen sogar noch niedrigere Werte als die 40 Mikrogramm, hieß es weiter. „Für Stickstoffdioxid liegt die Wirkungsschwelle, deren Überschreitung vermieden werden soll, im Jahresmittel bei 20 Mikrogramm je Kubikmeter Luft.“
Die Bundesregierung versucht unterdessen, die Folgen des strikten Grenzwertes abzumildern. Durch die Gesetzesänderung sollen Durchfahrverbote für ältere Dieselautos in jenen Städten unverhältnismäßig sein, in denen die tatsächliche Belastung mit Stickstoffdioxid zwar über dem in Europa geltenden Jahresmittelgrenzwert von 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft liegt, aber weniger als 51 Mikrogramm beträgt.
Die EU-Grenzwerte für Luftverschmutzung würden dadurch nicht verändert, sagte eine Sprecherin des Bundesumweltministeriums am Freitag in Berlin. Kritik an diesem Schritt wies sie zurück. Im Gesetz werde nur als Hilfestellung für die Kommunen klargestellt, dass in Städten mit relativ geringer Grenzwert-Überschreitung Fahrverbote „in der Regel“ nicht verhältnismäßig seien.