Nach Urteil des EuGH : Spediteure fordern Maut zurück
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Jahrelang zahlen Spediteure zu hohe LKW-Maut. Das Geld fordern sie jetzt zurück. Bild: dpa
Die falsch berechnete Lkw-Maut wird teuer. Fuhrunternehmen kommen auf Ansprüche von bis zu 400 Millionen Euro. Doch der Bund mauert. Verkehrsminister Scheuer sieht das durch EU-Recht gedeckt.
Dem Bund drohen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur falsch berechneten Lastwagenmaut Rückforderungen der Spediteure und Fuhrunternehmen von rund 400 Millionen Euro. Viele Geschädigte beklagen nun, der bundeseigene Lkw-Mautbetreiber Toll Collect erschwere die Geltendmachung ihrer Rechte. Sie vermuten, dass dahinter eine Anweisung des Bundesverkehrsministeriums steckt.
Der EuGH hatte Ende Oktober entschieden, dass Kosten für die Verkehrspolizei nicht in die Mautberechnung einfließen dürfen. Auch wenn der EuGH den Einzelfall eines polnischen Spediteurs noch zur Beurteilung an das Oberverwaltungsgericht Münster zurückverwiesen hatte, wollen sich immer mehr Mautzahler ihre Erstattungsansprüche sichern. Die Branchenverbände BGL und DSLV bestärken sie darin.
„Unter Berücksichtigung der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren sollten Rückerstattungsansprüche für das Jahr 2017 spätestens bis zum 31. Dezember 2020 beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG) geltend gemacht werden“, rät der DSLV seinen Mitgliedern.
Die Sache ist also eilig. Inzwischen sind Anwaltskanzleien eingeschaltet. Sie haben am Dienstag Anträge beim Bundesamt für Güterverkehr eingereicht. „Wir vertreten ungefähr 15000 Mandanten, die nach überschlägiger Rechnung etwa 25 Prozent der gesamten in Deutschland seit 2017 gezahlten Maut entrichtet haben“, sagte Alex Petrasincu, Rechtsanwalt der Düsseldorfer Kanzlei Hausfeld, der F.A.Z. in Berlin. Die Mautzahlungen seiner Mandanten belaufen sich in den vier Jahren auf rund sechs Milliarden Euro.
Ministerium spekuliert auf Verjährung
In diesem Betrag sind die Aufwendungen für die Verkehrspolizei enthalten, die der Bund nach dem EuGH-Urteil nicht berücksichtigen durfte. Die Polizeikosten haben danach am Gesamtbetrag einen Anteil von bis zu 6 Prozent. Damit beliefe sich die Rückerstattung – unter der Annahme, dass es mehr als 15.000 Anspruchsberechtigte geben dürfte – nach Schätzung der Verbände auf rund 400 Millionen Euro. Petrasincu betont: „Dass wir innerhalb von sechs Wochen von einer solch großen Anzahl von Unternehmen mandatiert worden sind, belegt die große Bedeutung dieses Themas für die deutsche Wirtschaft. Umso unverständlicher ist die Reaktion des Bundes.“
Das Bundesverkehrsministerium geht in Deckung. „OVG-Urteil abwarten“ lautet die interne Devise. Erst dann werde man sehen, ob auch andere Mautpflichtige Geld zurückfordern könnten. Außerdem zieht man sich im Haus von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf die Haltung zurück, die EU-Kommission habe die Berechnung nach dem Wegekostengutachten seit 2002 geprüft und toleriert.
Dieses Argument wollte allerdings schon der EuGH nicht gelten lassen. Hinter dem Zögern des Ministeriums steckt vermutlich Kalkül: Weil die Verjährung läuft, können die Spediteure ihre Ansprüche für 2017 nur noch bis Jahresende geltend machen. Verstreicht diese Frist, wird die Rückerstattung für den Bund billiger. Noch ältere Ansprüche (wie im EuGH-Verfahren 2010 und 2011) müssen die Geschädigten ohnehin abschreiben.
Um ihre Ansprüche an das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) zu untermauern, müssen die Geschädigten nicht nur eine Gesamtabrechnung vorlegen, sondern eine Original-Aufstellung der Einzelposten. „Die Rückerstattungsansprüche lassen sich auch nicht pauschal beziffern, da für die Mauterhebung verschiedene Faktoren wie die jeweilige Schadstoffklasse des Fahrzeugs und die Anzahl seiner Achsen berücksichtigt werden“, erläutert Björn Karaus, DSLV-Leiter Speditions- und Transportrecht in einem Schreiben. „Grob geschätzt wird im Erfolgsfall von einem Rückerstattungsanspruch in Höhe von circa 4 bis 6 Prozent der gezahlten Maut auszugehen sein.“
Rückerstattung würde Transportwirtschaft helfen
Viele Spediteure aber sind wütend, weil es nicht gelingt, von Toll Collect für 2017 und 2018 Abrechnungen zu bekommen. Per E-Mail erhalten sie die Auskunft: „Derzeit stehen für registrierte Kunden die Abrechnungsdokumente aus den letzten 24 Monaten im Kundenportal kostenfrei zum Download zur Verfügung. Nach Abstimmung mit unserem Auftraggeber sind derzeit keine zusätzlichen Aufwände zur Erweiterung der Zeitspanne für die kostenfreie Bereitstellung von Abrechnungsdokumenten im Kundenportal vorgesehen.“
Aus der Formel „nach Abstimmung mit unserem Auftraggeber“ leiten die Geschädigten ab, dass hinter der Weigerung eine Anweisung aus dem Ministerium steckt. „Es ist äußerst bedauerlich, dass der Bund meint, sich hier auf Taschenspielertricks zu Lasten der Transportwirtschaft verlegen zu müssen“, sagte Petrasincu. „In der Corona-Krise wäre eine unbürokratische Erstattung der zu Unrecht geforderten Maut eine große Hilfe für die Transportwirtschaft.“
Der Druck, sich um das Geld zu kümmern, kommt für die Spediteure noch von anderer Seite: von ihren Auftraggebern aus der verladenden Wirtschaft, die Mautkosten als Bestandteil der Rechnung des Transportdienstleisters für eine Beförderung beglichen haben. Sie können sich nicht direkt an das BAG wenden. So schreibt das Deutsche-Post-Unternehmen DHL an seine Transporteure: „Bei einer Rückerstattung durch das BAG an Sie sehen wir es als Bestandteil unseres partnerschaftlichen Verhältnisses, dass der auf Deutsche Post entfallende Anteil entsprechend an Deutsche Post zurückbezahlt wird.“
Dem Schreiben beigefügt ist ein „Verzicht auf die Verjährungseinrede“, den die Spediteure unterschreiben sollen. Sie sollen sich also gegenüber dem Beteiligungsunternehmen des Bundes (Deutsche Post) nicht darauf berufen können, dass sie ihre Ansprüche für 2017 wegen der Behinderung durch ein anderes Bundesunternehmen (Toll Collect) nicht rechtzeitig geltend machen konnten.