Abgas-Skandal : Welches Problem Volkswagen mit Software lösen kann
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IAA-Besucherin mit sauberem Diesel? Bild: Getty
Die VW-Konzernspitze hofft, einen Teil des Abgasproblems durch eine aktualisierte Software zu lösen. Für die Zukunft geht es vor allem darum, ob die Industrie von einer lange gehegten Annahme abrückt.
Erstmals in einem großen Skandal um einen Autohersteller ist die Software in den Mittelpunkt gerückt. Kunden, Fachleute, Kommunikatoren der Autowelt zeigen sich orientierungslos. Die aufsehenerregenden Rückrufe für fehlerhafte Autos kreisten bisher um mechanische Fragen, fehlende Fahrstabilität im Ausweichmanöver des „Elch-Tests“, durchgescheuerte Kabel oder Benzinleitungen oder in den Vereinigten Staaten zuletzt um fehlerhafte Airbags oder Zündschlösser.
Wenn nun im Skandal um Volkswagen die Software für die Motorsteuerung im Mittelpunkt steht, kann die neue Konzernspitze daran die Hoffnung knüpfen, dass sich ein Teil des Problems ohne große mechanische Veränderungen lösen lässt. Eben durch ein aktualisiertes Programm.
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Immer größere Gestaltungsfreiheit
Zugleich offenbart dieser Skandal um das manipulierte Software-Programm aber auch, dass in dieser Manipulation mit großer Wahrscheinlichkeit Vorsatz im Spiel gewesen sein muss. Die moderne Technik erlaubt es den Entwicklungsingenieuren immer mehr, Prioritäten auf Leistung und Motoreneigenschaften zu setzen. Wer bei gleichbleibender Mechanik auf etwas Höchstleistung verzichtet oder auf ein Stück Durchzugskraft, kommt leichter auf gute Abgas- und Verbrauchswerte.
Ein Entwickler, der die Abgase der Dieselmotoren von Feinstaub und Stickoxiden reinigen will, muss dafür nicht nur zusätzliche Filter oder Katalysatoren in den Motor einbauen, sondern kann über das Programm für den täglichen Betrieb ein Stück weit abwägen, ob die Abgase mehr oder weniger sauber sein sollen. Es gilt tendenziell: Weniger Abgas kostet mehr Energie.
In den Vereinigten Staaten wird Volkswagen beschuldigt, den Katalysator für die Beseitigung von Stickoxiden im Fahrbetrieb ganz außer Kraft gesetzt zu haben, um den Verbrauch der Dieselmotoren im Alltagsbetrieb zu senken.
Die immer größere Gestaltungsfreiheit auch abseits der groben Manipulation entstand durch die Technik der modernen Dieselmotoren. Gesteuert werden dazu vor allem die Einspritzsysteme in Kombination mit der Luftzufuhr. Der Zulieferer Bosch – der die Anlagen liefert, aber nicht programmiert – bietet für die Dieselmotoren inzwischen Anlagen, die den Kraftstoff mit bis zu 2700 Atmosphären Druck einspritzen. Zugleich kann innerhalb eines Ansaugtaktes inzwischen bis zu zehn Mal eine winzige Menge Kraftstoff eingespritzt werden. Die Einspritzzeiten können mit 0,07 bis 5 Millisekunden Dauer getaktet werden, für die Pausen beträgt das Zeitminimum nur noch 0,05 Millisekunden. Voraussetzung für die exakte Dosierung des Kraftstoffs sind feine Düsen mit Öffnungen von weniger als 35 Mikrometern.
Grob gesagt ist es so, dass der große Druck mehr Leistung bringt, die Vielzahl kleiner Einspritzungen mindert das Dieselnageln. Wer die Einspritzung genau steuern kann, beeinflusst damit auch den mehr oder weniger vollständigen Verbrennungsvorgang und damit die Abgase. Eine späte Einspritzung von mehr Kraftstoff führt andererseits auch etwa alle 1000 Kilometer zu unvollständiger Verbrennung und zu einem Feuer im Partikelfilter, damit dort die eingelagerten Rußteile verbrennen.
Weniger Emission, mehr Leistung
Weil die Dieselmotoren in Europa bis vor kurzem viel mehr Stickoxide ausstoßen durften als in den Vereinigten Staaten, besteht im Volkswagen-Konzern noch immer Hoffnung, dass in Europa neue Software viele Probleme lösen kann. Die kalifornische Vorschrift für Autos mit „ultra-niedrigen“ Emissionen erlaubt einen Ausstoß von 12,5 Milligramm Stickoxid je Kilometer, der nationale amerikanische Grenzwert für normale Diesel 44 Milligramm.
In Europa wurde dagegen dem Dieselmotor sein geringerer Ausstoß an Kohlenmonoxid und -dioxid zugutegehalten, weshalb die Grenzen für den Ausstoß an Stickstoffoxid großzügiger waren. Für die betreffenden Dieselmotoren der Baujahre von 2005 bis Juli 2015 galten weit höhere Grenzwerte, von 500 Milligramm je Kilometer bis 2006 (nach der Euro-3-Norm) bis 180 Milligramm je Kilometer bis zum August 2015 (Euro 5). Seit dem 1. September dieses Jahres lässt die Euro-6-Norm bei Neuwagen nur noch 80 Milligramm Stickoxid je Kilometer zu.
Wenn nun neue Software die älteren Dieselmotoren etwas sauberer machen soll, könnte dies allerdings etwas Leistung kosten oder die Verbrauchsdaten verschlechtern. Offen bleibt dann, ob die Daten der alten Volkswagen dann so weit von den Versprechungen der Verkaufsprospekte abweichen, dass der Hersteller den Kunden dafür Schadenersatz leisten muss.
Für die Zukunft stellt sich die Frage, wie weit es sich die Motorenentwickler erlauben können, nur noch saubere Abgase in den Mittelpunkt zu stellen. Bisher wurde den Käufern neuer Modelle bei den weiterentwickelten Motoren immer die Kombination von weniger Emission und Verbrauch zusammen mit mehr Leistung geboten. Dahinter steckt die Annahme, dass sich manche Kunden nicht von einem Neuwagen überzeugen ließen, wenn der gleichzeitig mit niedrigeren Abgaswerten schlechtere Leistung bietet.