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Ausbauzahlen : Die Windkraft in der Krise

Bild: dpa

Im ersten Halbjahr gingen so wenig neue Windräder ans Netz wie zuletzt vor 20 Jahren. Die Branche schlägt Alarm: Wenn sich nicht schleunigst etwas ändert, kann sich die Politik ihr Ökostromziel abschminken.

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          Die Windenergie ist die Stütze der deutschen Ökostromerzeugung. Im vergangen Jahr stellten Windkraftwerke im Meer und an Land mit fast 112 Terawattstunden (TWh) etwa so viel Strom zur Verfügung wie Photovoltaik (46 TWh) und Biomasse (51 TWH) sowie Wasserkraft und Geothermie (17 TWh) zusammen. Doch das Zugpferd der Energiewende lahmt. Das zeigen die neuesten Zahlen der Windbranche über den Ausbau im ersten Halbjahr.

          Andreas Mihm
          Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

          Anders als beim Wind, der im ersten Halbjahr kräftig geblasen hat und den Ökostromanteil auf 40 Prozent des Gesamtverbrauchs gehoben hat, ist der Zubau neuer Anlagen fast zum Stillstand gekommen. Gerade einmal 86 Windräder mit einer Kapazität von 287 Megawatt verzeichnet die Statistik als Zugang. Das sei ein Minus von 82 Prozent im Vergleich „zum bereits schwachen Vorjahreszeitraum“, schreiben der Bundesverband Windenergie (BWE) und der VDMA Power Systems.

          Zieht man die inzwischen stillgelegten Windräder ab, beträgt das Plus nur magere 35 Neubauten mit einer Leistung von 231 Megawatt. Alles in allen waren zur Jahresmitte 29.248 Windanlagen mit einer Kapazität von 53.161 Megawatt an das deutsche Stromnetz angeschlossen.

          Die Gründe für den „schlechtesten Wert“ seit Start des Fördergesetzes EEG im Jahre 2000 lägen auf der Hand, sagte BWE-Präsident Hermann Albers: „Genehmigungsstau und Klageflut.“ Die Investoren hielten sich deshalb zurück. Sichtbares Zeichen seien die Ausschreibungen für die Förderung neuer Windparks. Da käme nicht einmal genug Gebote zustande, um die von der Regierung angebotene Menge abzurufen.

          Fehlende Genehmigungen und Klagen

          „Die derzeitige Schwäche des deutschen Markts liegt nicht an den Unternehmen der Branche, die kosteneffiziente und hochinnovative Produktneuheiten auf den Markt bringen, sondern an politischen Rahmenbedingungen im Bund sowie in einzelnen Ländern.“ Vielleicht würden dieses Jahr neue Anlagen mit insgesamt 1500 Megawatt installiert, das wäre dann etwa ein Drittel der einzelnen Jahreswerte 2014 bis 2017. Die Bundesregierung müsse schleunigst helfen, damit die Branche aus der Talsohle komme. Denn sonst könne sie ihr Ziel vergessen, den Anteil der Erneuerbaren bis 2030 auf 65 Prozent hochzuschrauben.

          Noch bestehe die Möglichkeit, durch politisches Umsteuern die Trendwende zu schaffen und für die Jahre ab 2020 wieder eine Perspektive zu eröffnen, sagte Matthias Zelinger, Geschäftsführer beim Maschinenbauverband VDMA Power Systems. „Wir schließen uns deshalb der Bitte an die Kanzlerin an, einen Windenergie-Gipfel zu organisieren, um neue Impulse zu setzen und wieder das Schrittmaß der industriellen Entwicklung zu bestimmen.“

          Für die Grünen steht fest, dass die Bundesregierung die Verantwortung für den eingebrochenen Ausbau trägt. Seit Jahren streue sie massiv Sand ins Getriebe, meinte Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. „Statt die Windenergie systematisch klein zu halten, müsste die Bundesregierung diese Zukunftsbranche jetzt durch die Sicherung von Flächen und Genehmigungen stärken“, sagte sie. 

          Genehmigungsverfahren nennt die Branche tatsächlich als wichtigsten Grund für den Einbruch. Die Länder stellten zu wenig Flächen für den Ausbau zur Verfügung, fehlende Genehmigungen und Klagen sowie Widerspruchsverfahren gegen bereits erteilte Genehmigungen hielten die Planung auf. Windprojekte mit 11.000 Megawatt Kapazität steckten mangels Genehmigung fest. Nach einer Analyse der Fachagentur Wind an Land werden derzeit in Deutschland mehr als 300 Windenergieanlagen mit 1000 Megawatt Leistung beklagt.

          Deutschland könnte den Anschluss verlieren

          Der Natur- und Artenschutz seien dabei bei Weitem die wichtigsten Klagegründe. Aber auch militärische Belange und UKW-Drehfunkfeuer stellten bedeutende Hemmnisse für den Windkraftausbau dar. Angesichts der abnehmenden Bedeutung der UKW-Technik brauche man eine schnelle Lösung durch den Bundesverkehrsminister und die zuständigen Landesminister.

          Bürgerproteste gegen neue Windanlagen sind für die Politik ein wichtiger Faktor geworden. Die Koalition hat deshalb eigens eine Arbeitsgruppe „Akzeptanz“ eingerichtet, die entgegen aller Ankündigungen bisher keine Vorschläge vorgelegt hat. Albers forderte die Politik auf, Genehmigungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.

          Es müsse geprüft werden, ob sich Klageverfahren über Jahre hinweg ziehen müssten. In sechs Bundesländern seien im ersten Halbjahr gar keine neuen Windanlagen errichtet worden: in Bayern, Hessen, dem Saarland, in Bremen, Hamburg und Berlin. Die meisten neuen Anlagen wurden seit Jahresbeginn in Rheinland-Pfalz errichtete, gefolgt von Niedersachsen.

          So düster die Lage für die Branche derzeit in Deutschland ist, umso rosiger ist sie in der Welt. Die Perspektive für die globale Windindustrie sei positiv, sagte Zelinger. Für die Jahre bis 2023 prognostiziert der Global Wind Energy Council für die Region Asien einen Zubau von Windenergie an Land von 145.000 Megawatt, gefolgt von Europa sowie der Region Nord- und Südamerika mit jeweils 63.000 Megawatt. Allein im Jahr 2019 werde ein weltweiter Zubau von 59.000 Megawatt prognostiziert.

          Mit nur noch 2,5 Prozent des Weltmarktvolumens drohe Deutschland als Innovations- und Industriestandort jedoch den Anschluss zu verlieren, warnte Zelinger. Die Windenergie sei weltweit eine der Schlüsseltechnologien für Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung. „Sie gehört in den Mittelpunkt einer klaren industrie- und wirtschaftspolitischen Strategie für Deutschland.“

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