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Sexualisierte Reklame : Wenn die Werbung zum Aufreger wird

  • -Aktualisiert am

Muss man nicht lustig finden: Werbung von True Fruits Bild: Lukas Kreibig

Ob anzügliche Smoothie-Slogans oder leichtbekleidete Models: Werbekampagnen erhitzen die Gemüter. Woher kommt die Empörung?

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          Nicolas Lecloux hatte alles sorgsam geplant. Für seine neuen Smoothies mit Chia-Samen wollte das Bonner Unternehmen True Fruits erstmals in großem Stil Plakatwerbung schalten. Die Motive und Slogans hatten sich Mitgründer und Marketingchef Lecloux und sein Team selbst ausgedacht, die Plakate waren so gut wie fertig – doch dann kam der Anruf des Vermarkters: Es gebe da ein Problem. Einige „Partner“ weigerten sich, die Plakate zu zeigen. Der Grund: Die Motive seien zu anzüglich.

          Julia Löhr
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Darf man einen Smoothie mit Sätzen wie „Bei Samenstau schütteln“ bewerben? Die Städte München und Stuttgart finden: nein. Sie haben dieses und drei weitere Motive aus dem Stadtbild verbannt. Auch der Deutschen Bahn gehen die zweideutigen Sprüche (wahlweise auch: „Zwei Samenspender aus gutem Hause“) zu weit. Lecloux kann das erwartungsgemäß nicht nachvollziehen. „Bei aller Zweideutigkeit“, sagt er, „es geht hier immer ums Produkt.“

          70 Prozent der Beschwerden per Online-Formular

          Für die Plakate mag das stimmen, tatsächlich aber geht es längst um viel mehr. Es geht um die Grundsatzfrage, wie sehr Werbung provozieren darf. Mehr als 1500 Beschwerden aus der Bevölkerung hat der Deutsche Werberat im ersten Halbjahr dieses Jahres gezählt, das sind fast fünf Mal so viele wie im gleichen Zeitraum des Vorjahres. In den meisten Fällen geht es in irgendeiner Form um das Thema Sex. Mal werden anzügliche Sprüche moniert, mal halbnackte Frauen in lasziver Pose. Auch die True-Fruits-Werbung hat das Selbstkontrollgremium der deutschen Wirtschaft schon erreicht: Kaum hingen die ersten Plakate, gingen schon ein Dutzend Beschwerden ein. Die Prüfung läuft. Wie das Ergebnis ausfallen wird, darüber will Geschäftsführerin Julia Busse nicht spekulieren. Sie rechnet aber mit kontroversen Diskussionen.

          Liegt es an den Unternehmen oder an den Menschen, dass Werbung immer öfter zu einem Aufregerthema wird? Schießt die Wirtschaft mit ihren Kampagnen häufiger als früher übers Ziel hinaus? Oder reagieren die Menschen empfindlicher? Eher Letzteres, sagt Busse. „Das Beschwerdeaufkommen steigt“, so ihre Beobachtung, „die Empörung ist größer geworden.“ Sie sieht das in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Wenn allenthalben über Themen wie die Frauenquote oder die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen diskutiert werde, dann stehe auch die Werbung „zwangsläufig“ unter verschärfter Beobachtung.

          Früher hätten viele einfach darüber hinweggesehen, wenn eine Supermarktkette für ihre Weinabteilung mit den Worten „Lieblich wie der Wein sollte auch die Gattin sein“ wirbt. Oder wenn die Biermarke Astra auf einem Plakat ein pralles Dekolleté und den Spruch „Keine Haare auf der Brust, aber Astra trinken!“ zeigt. Heute beschweren sie sich. Was auch daran liegt, dass es so einfach geworden ist, selbiges zu tun. 70 Prozent der Beschwerden erreichen den Werberat über das Online-Formular. „Man muss eben nicht mehr die Schreibmaschine rausholen“, erklärt Busse.

          „Fast so kompliziert wie eine Frau. Aber pünktlich“

          Der Pfad zwischen einer Provokation und einer Geschmacklosigkeit ist schmal. Kein Fall zeigt das so gut wie der von Wiesenhof: Fast 1000 Beschwerden gingen im Juni beim Werberat gegen einen Spot des Geflügelherstellers ein. In dem hatte der Komiker Atze Schröder über die Länge einer Bratwurst gefachsimpelt und Model Gina-Lisa Lohfink – damals im Mittelpunkt eines Vergewaltigungsprozesses – eine Traumatherapie empfohlen. In diesem Fall sprach der Werberat tatsächlich eine Beanstandung aus, das Unternehmen entschuldigte sich. In den meisten Fällen aber – etwa, wenn es um leichtbekleidete Models auf Modeplakaten geht – hält das Gremium die Beschwerden für überzogen.

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