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Drohender Arbeitskampf : Der Bahn droht der Stillstand

Bahnstreik 2021: Angesichts der kämpferischen Haltung der Gewerkschaft EVG könnte es an Bahnhöfen bald wieder ähnlich zugehen. Bild: Andreas Pein

Nach der Post und dem öffentlichen Dienst wollen jetzt auch die Bahner deutlich mehr Lohn. Droht im Frühjahr der Stillstand?

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          Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist mit einer Forderung in Rekordhöhe in die anstehenden Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn und rund 50 weiteren Bahnbetrieben gegangen. Sie fordert 12 Prozent mehr Lohn für die oberen Gehaltsklassen und als „soziale Komponente“ einen Mindestbetrag von 650 Euro im Monat. Für die Beschäftigten mit einem Monatsgehalt von rund 2000 Euro würde dies sogar Lohnsteigerungen von mehr als 30 Prozent bedeuten. Das hat die Tarifkommission der Gewerkschaft am Dienstag in Fulda einstimmig beschlossen. Für die Nachwuchskräfte werden 325 Euro gefordert. Grund für die hohen Forderungen sind die gestiegenen Verbraucherpreise. Im vergangenen Jahr lag die Inflation bei 8 Prozent.

          Corinna Budras
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Bei den umfangreichen Tarifverhandlungen, die am 28. Februar starten, drückt die Gewerkschaft aufs Tempo: „Wir haben keine Zeit für Tariffolklore“, sagte die Ko-Verhandlungsführerin der EVG, Cosima Ingenschay, und zielte damit auf die üblichen Gepflogenheiten der Arbeitgeber, in der ersten Verhandlungsrunde erst einmal die eigene wirtschaftliche Situation zu beklagen. In Gewerkschaftskreisen wird das die „Taschentuchrunde“ genannt – auf die dieses Mal verzichtet werden soll: „Wir wollen ein ernsthaftes Angebot sehen.“

          „Sehr hitziges Frühjahr“

          Bisher habe man bei einigen Arbeitgebern die Ernsthaftigkeit noch nicht erkennen können, ergänzte Ko-Verhandlungsführer Kristian Loroch. „Sie wissen offenbar noch nicht, was die Stunde geschlagen hat.“ Sollte in der ersten Verhandlungsrunde noch kein Angebot vorliegen, stehen schon Ende März zum ersten Mal die Zeichen auf Streik. Anfang April fangen in den meisten Bundesländern die Schulferien an. EVG-Chef Martin Burkert hat ein „sehr hitziges Frühjahr“ in Aussicht gestellt.

          Damit droht in vielen öffentlichen Bereichen der Stillstand, da auch im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gerade schwierige Tarifverhandlungen laufen. Mit ihren Vorstellungen liegt die EVG oberhalb der Forderung, die Verdi für den öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen erhebt. Hier stehen 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro auf dem Zettel. Schon der aktuelle Streik bei der Deutschen Post, der am Dienstag noch einmal ausgeweitet wurde, liefert einen Vorgeschmack auf die Intensität der Arbeitskämpfe, die sich nun unter dem Eindruck der starken Inflation Bahn brechen. Verdi fordert von der Post 15 Prozent mehr Gehalt. Dabei treffen die Warnstreiks durchaus auf Verständnis in der Bevölkerung: Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zufolge hält die Hälfte der Menschen in Deutschland den Warnstreik bei der Post für gerechtfertigt. Allerdings hatten 34 Prozent den Angaben nach kein Verständnis. Anders als die Deutsche Post hat die Bahn allerdings eine wesentlich schwächere Ausgangsbasis: Nach den verlustreichen Corona-Jahren konnte sie sich erst im vergangenen Jahr vom drastischen Einbruch der Kundenzahlen erholen.

          Die Parallelität der Tarifauseinandersetzungen spielt der EVG in die Hände. „Als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wären wir schlecht beraten, würden wir die Synergien nicht nutzen“, sagte Loroch. Man werde sich mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi abstimmen, um die Schlagkraft der Arbeitskämpfe zu erhöhen.

          Das ist jedoch nicht die einzige Besonderheit der aktuellen Tarifverhandlungen. Neu ist auch, dass die EVG erstmals gemeinsam mit allen Bahnunternehmen in Deutschland verhandelt, darunter auch mit vielen privaten Anbietern, die deutlich kleiner sind als der Staatskonzern Deutsche Bahn. Neben den konkreten Lohnforderungen, die für alle gelten, erarbeitet die EVG deshalb auch noch für jedes einzelne Unternehmen einen konkreten Forderungskatalog. Das macht die Verhandlungen für die Gewerkschaft sehr aufwendig und langwierig; außerdem erhöht es die Gefahr von Arbeitskämpfen, weil die EVG willens ist, alle Unternehmen zu bestreiken, wenn die Verhandlungen mit einem Arbeitgeber stocken.

          Zurückhaltung bei der Bahn

          Die Deutsche Bahn zeigte sich am Dienstag noch zurückhaltend. Ihr sind nun zwar die generellen Lohnforderungen bekannt, aber die DB-spezifischen Forderungen lägen derzeit noch nicht vor. „Für die Deutsche Bahn ist klar: Wir brauchen eine vernünftige Balance“, betonte ein Konzernsprecher. „Es geht um die Anerkennung der Leistung unserer Belegschaft und darum, die Zukunftsfähigkeit der Bahn zu sichern.“

          Der Fachkräftemangel dürfte besondere Dynamik in die Verhandlungen bringen. „Die Fluktuation ist erschreckend“, sagte Tarifvorstand Loroch. Das habe auch etwas mit der Bezahlung zu tun. „Wenn es nicht gelingt, schnellstmöglich eine Vielzahl an neuen Beschäftigten zu gewinnen, werden in Zukunft noch mehr Züge ausfallen.“

          Gute Nachrichten gab es derweil vom Berliner Flughafen. Dort haben Arbeitgeber und Gewerkschaft am Dienstag eine Tarifeinigung erzielt. Die insgesamt knapp 2000 Beschäftigten der Firmen Swissport , Airline Assistance Switzerland und WISAG bekommen bis zu 20 Prozent mehr. Die deutlichen Tarifsteigerungen seien notwendig, um die Arbeitsplätze bei den Bodenverkehrsdienstleistern wieder attraktiver zu machen, betonte Verdi.

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