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Mittagspause : Ein Lob der Mahlzeit

Die Mittagspause ist heute vielfach die Fortsetzung der Arbeitszeit: Business-Talk oder E-Mails schreiben Bild: dpa

Die Mittagspause soll der Erholung dienen, stattdessen verkommt sie zum Business-Event. Parlieren vor dem weißen Tischtuch, Netzwerken mit Kollegen - wie die Pause zur Überforderung wird.

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          Es gibt wohl kaum eine Grußformel, die im deutschen Arbeitsalltag so verhasst ist wie das stets beherzt vorgebrachte „Mahlzeit!“. Das zeigt sich schon körperlich: im entsetzten Blick des so Begrüßten oder in seinem energischen Erschaudern. „Mahlzeit“ – die Kurzform des jahrhundertealten Ausspruchs „gesegneten Mahlzeit“ – ist zum Inbegriff einer veralteten Firmenkultur geworden, in der noch Stechuhr und Aktendeckel regieren und Kreativität keinen Platz hat. Denn Kreativität zeigt sich vor allem im Chaos: dem ungeplanten Arbeitsablauf, den Pizzakartons vor dem Computerbildschirm, den „Brainstorming-Sessions“ mit ungewissem Ende.

          Corinna Budras
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin.

          Dabei behaupten Wissenschaftler voller Überzeugung, dass nur wenig die Kreativität so sehr ankurbelt wie die Pause; ein Wort, das dem französischen Wort für Ruhe, „la pause“, entlehnt ist. Diese Ruhezeiten sorgen für Aus- und Durchblick und bewahren den Menschen vor dem grausamen Schicksal des Sisyphos, ununterbrochen weitermachen zu müssen, schreiben die Autoren Karlheinz und Jonas Geißler in ihrem gerade erschienenen Buch „Time is honey – Vom klugen Umgang mit der Zeit“.

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          Die Krönung des Innehaltens ist die Mittagspause. Sie ist die längste am Tag, mindestens eine halbe Stunde lang (das ist schon im Arbeitszeitgesetz so festgelegt), und sorgt für den nötigen Schwung für die Vollendung des Tagewerks. Sie zwingt zur Vollbremsung, wenn der Geist mit Karacho in die falsche Richtung brettert, sie sorgt für Austausch und befreit von unnötigem Ballast.

          Die Pause ist eine soziale Errungenschaft

          Jedenfalls sollte sie das. Und von dieser Idee hat sie auch noch nichts eingebüßt. Deshalb ist sie auch so außerordentlich beliebt. Zwar ist Deutschland das einzige Land, das in Form von „Mahlzeit!“ einen eigenen Schlachtruf installiert hat, doch der Konsens bleibt: Für die Mittagspause konnten sich über die Jahrhunderte hinweg schon viele Kulturen begeistern. Besonders die Südeuropäer sind berühmt dafür, dass sie wegen der großen Sommerhitze das Essen immer noch durch einen ausgedehnten Mittagsschlaf, eine Siesta, ergänzen. Vor 17 Uhr kehren viele nicht zu ihren eigentlichen Pflichten zurück. Die Läden bleiben in der Zeit geschlossen, und auch sonst geht das Leben in dieser Zeit langsamer. Vielfach vergessen ist inzwischen, dass Pausen eine soziale Errungenschaft sind und keineswegs ein naturgegebenes Menschenrecht. Sie mussten erst mühsam von den Gewerkschaften erkämpft werden. Erst 1873 setzte der Verband der Buchdrucker eine Viertelstunde Frühstückspause am Vormittag und Vesperpause am Nachmittag durch. Davor war stets durchgearbeitet worden.

          Hundert Jahre später erlebt die Pause ihren absoluten Höhepunkt, jedenfalls was die arbeitsrechtliche Anerkennung angeht. Nirgendwo zeigte sich das so deutlich wie in der berühmten Steinkühlerpause. Sie gilt als wichtiger Bestandteil der „Humanisierung der Arbeitswelt“, für die die IG Metall Anfang der siebziger Jahre auf die Barrikaden ging. 1973 setzte sie nach einem dreiwöchigen Streik für die Fabrikarbeiter kategorisch Pausenzeiten durch: Für jeden Akkordarbeiter war fortan eine Erholungspause von fünf Minuten je Arbeitsstunde festgelegt – ebenjene „Steinkühlerpause“, die nach dem damaligen Verhandlungsführer der IG Metall in Baden-Württemberg, Franz Steinkühler, benannt ist. Weitere drei Minuten je Arbeitsstunde sind für „persönliche Bedürfnisse“ reserviert. Auch die klassische Pinkelpause wurde damit in den Rang einer Tarifnorm erhoben.

          Von dieser Einsatzfreude für die Pause ist bei den Beschäftigten heute nicht mehr viel übrig. Für sie würde niemand mehr auf die Straße gehen, es fällt vielen Arbeitnehmern schon schwer genug, sie überhaupt wahrzunehmen, wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bemängelt. Einer repräsentativen Umfrage von TNS Infratest zufolge nutzen zehn Prozent der Befragten die Pause selten oder nie. 20 Prozent nehmen die Pausen nur verkürzt in Anspruch.

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