
Wachstum durch Umverteilung : Japans neuer Kapitalismus
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Die Pläne des neuen japanischen Regierungschefs Fumio Kishida sind ambitioniert, stoßen aber auf wenig Begeisterung. Bild: Reuters
In Japan steht plötzlich das Thema Umverteilung versus Wachstum im Zentrum der Debatte. Für das Land ist diese Diskussion unnötig und schädlich.
In der festgefahrenen Politik Japans geschieht Erstaunliches. Seit vielen Jahren schon läuft in Amerika und in Europa die Diskussion, ob eine zunehmende Ungleichheit der Einkommen dem Wachstum schade. In Japan kam diese Debatte nie richtig auf. Die schwache Opposition klagte über zu geringe Löhne und prekäre Arbeitsverhältnisse, fand aber kein Gehör. Die politisch dominanten Liberaldemokraten setzten auf Wachstum. Binnen weniger Wochen hat das Bild sich total gewandelt. Wachstum und Verteilung der Einkommen seien für eine harmonische Wirtschaftsentwicklung notwendig, predigt der neue Ministerpräsident Fumio Kishida und fordert einen neuen Kapitalismus. Plötzlich steht das Thema Umverteilung versus Wachstum im Zentrum der Debatte.
Für Japan ist diese Diskussion unnötig und schädlich. Ministerpräsident Kishida kupferte bei der Opposition das populistische Argument ab, die neoliberale Politik seit der Jahrtausendwende habe die Ungleichheit der Einkommen getrieben. Doch das ist höchstens die halbe Wahrheit. Japan hat keine exorbitant hohen Managergehälter. Die Ungleichheit der Einkommen liegt in etwa im OECD-Durchschnitt. Sie ist seit dem Jahr 2000 gestiegen, wird aber durch eine effektive Umverteilung ausgeglichen.
Im Kern schuf Japan mit viel Teilzeit- und Zeitarbeit den Beschäftigten und den Unternehmen ein Ventil, um dem erstarrten System der lebenslangen Anstellung auszuweichen. Das hilft der Beschäftigung und dem Wachstum. Unerwünschte Folgen für die Einkommen werden durch Umverteilung korrigiert, etwa für alleinerziehende Mütter oder Senioren. Das Niveau des Ausgleichs mag man für unzureichend ansehen. Grund für eine Breitseite gegen Deregulierung und Liberalismus ist das nicht.
Japaner investieren vorsichtig
Mehr noch gilt das beim Blick auf die Vermögensseite. Der Abstand zwischen den höchsten und niedrigsten Vermögen in Japan gehört zu den kleinsten in der OECD. Zuletzt hat die aggressive geldpolitische Lockerung der Abenomics die geringe Diskrepanz etwas vergrößert. Immobilien, das wichtigste Vermögensobjekt, wurden in den begehrten Ballungszentren spürbar teurer, während die Menschen in Vorstädten oder auf dem Land in der schrumpfenden Gesellschaft Wertverluste erlitten.
Die Geldpolitik forcierte auch eine Aktienhausse, von der nur wenige Wohlhabende profitierten. Denn immer noch investieren die Japaner sehr risikoscheu und verlieren so in Zeiten der Null- und Negativzinsen. Von dieser geldpolitisch bedingten Umverteilung spricht der Ministerpräsident nicht. Er will an der monetären Lockerung festhalten. Doch schlägt er vor, die Steuer von 20 Prozent auf Finanzeinkommen anzuheben. Das wäre kontraproduktiv. Die Regierung bestrafte die Japaner noch mehr für die Anlage in Wertpapiere. Für die Vermögensverteilung wäre nichts gewonnen.
Es braucht qualitatives Wachstum
Der Ruf nach einem neuen Kapitalismus kulminiert im Ruf nach einem Programm zur Einkommensverdopplung. Das ist eine romantische Reminiszenz an die Wirtschaftswunderjahre, als in den Sechzigerjahren Ministerpräsident Hayato Ikeda staatliche Investitionen anschob und die Sozialsysteme ausbaute. Damals wurde die Wirtschaftsleistung nach sieben Jahren verdoppelt und Ikedas Plan vorzeitig erfüllt.
Doch die Zeiten sind nicht mehr so. Japans Bevölkerung schrumpft und altert. Zweistellige Wachstumsraten sind nicht mehr vorstellbar. Das Potential an Frauen und Senioren, die noch in den Arbeitsmarkt hineingezogen werden können, ist endlich. Japan muss Wachstum über Qualität erlangen. Dazu braucht es höhere Produktivität nicht nur in der exportintensiven Großindustrie, sondern auch in den mittelständischen Unternehmen. Es braucht Entbürokratisierung und Deregulierung für mehr Dynamik. Im Doing-Business-Bericht der Weltbank liegt Japan nur auf Rang 106, wenn es um die Gründung eines Unternehmens geht. Das leistungsfeindliche System der Löhne nach Dienstalter dominiert immer noch den Arbeitsmarkt.
Im Unterschied zu seinen Vorgängern spricht Kishida von diesem Reformbedarf nicht. Seine Sache sind die unausgegorenen und utopischen Pläne des Wachstums durch Umverteilung und höhere Löhne. Deshalb quittierten die Anleger an der Börse seine Ernennung mit dem Kishida-Schock und Kursverlusten. Auch der Einstand in der Bevölkerung kurz vor der Unterhauswahl war in den Umfragen nicht berauschend. Der Regierungschef schwor in der Folge der höheren Finanzsteuer vorerst ab. Doch wer als romantischer Umverteiler beginnt, wird nicht als liberaler Wirtschaftsreformer enden.