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Kindergrundsicherung : Was wird aus dem Existenzminimum für Kinder?

Kindern mehr Teilhabechancen ermöglichen: darum geht es der Familienministerin Bild: picture-alliance/ dpa

Familienministerin Paus will das Existenzminimum für Kinder neu definieren. Damit soll mehr Kindern aus der Armut geholfen werden. Doch noch ist die Skepsis an den Plänen groß.

          3 Min.

          Die Ampelkoalition will „mehr Kinder aus der Armut holen“, so das Versprechen, das hinter dem Reformprojekt Kindergrundsicherung steht. Von „besseren Chancen“ für Kinder und Jugendliche ist in dem Eckpunktepapier von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) die Rede. So weit, so vage. Noch hat Paus nicht beziffert, was die geplanten Verbesserungen für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien kosten werden. Oder anders gewendet, wie viel Umverteilung im Kampf gegen Kinderarmut betrieben werden soll. Denn genau darum geht es jenen Interessenvertretern, die das Projekt Kindergrundsicherung mit Vorschlägen etwa zur Einführung eines „Kinder-Solis“ auf große Vermögen verknüpfen.

          Katja Gelinsky
          Wirtschaftskorrespondentin in Berlin

          Dreh- und Angelpunkt der Finanzierungsfrage ist die im Koalitionsvertrag und in Paus’ Eckpunktepapier geplante Neudefinition des sogenannten soziokulturellen Existenzminimums des Kindes. Dafür gibt es in der Interministeriellen Arbeitsgruppe Kindergrundsicherung, die bis Ende des Jahres ein Konzept für das Reformprojekt erarbeiten soll, eine eigene Fachgruppe unter Federführung des Ministeriums für Arbeit und Soziales von Hubertus Heil (SPD).

          Flankiert wird die Neubestimmung des Existenzminimums durch das Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), das Wirkungen und Kosten angedachter Optionen berechnet. „Aber noch haben wir keine Berechnungsvorgaben der Politik“, sagt IZA-Forschungsdirektor Holger Bonin. Bevor die Ökonomen loslegen können, müssen normative Fragen geklärt werden. Was also sind die Mindestbedarfe, die für Kinder und Jugendliche gedeckt werden müssen? Die Frage so zu stellen, führt nach Ansicht mancher Interessenvertreterinnen unweigerlich zu Ergebnissen, die sie als nicht kindgerecht kritisieren.

          Zweifel an ausreichenden Teilhabechancen

          Maßstab für die künftigen staatlichen Hilfen für Kinder und Jugendliche dürfe nicht länger das Existenzminimum sein, da es keine ausreichenden Teilhabechancen garantiere. „Vielmehr gilt es, existenzsichernde Leistungen für junge Menschen so auszugestalten, dass sie das gewährleisten, was zu einer ,normalen‘ Kindheit und Jugend in Deutschland dazu gehört“, fordert unter anderem die Bertelsmann Stiftung. Leitlinie für die Kindergrundsicherung müsse sein, was Kindern „durchschnittliche Möglichkeiten und Spielräume eröffnet, damit sie tatsächlich an der Gesellschaft teilhaben und gesund aufwachsen können“.

          Paus’ Eckpunktepapier geht in eine ähnliche Richtung: „Die Regelbedarfe sollen zukünftig stärker als bisher an den Haushaltsausgaben der gesellschaftlichen Mitte ausgerichtet werden“, ist dort zu lesen. Wie immer man die von Paus angepeilte gesellschaftliche Mitte definiert – jedenfalls würde damit ein neuer Maßstab für die staatliche Sicherung des Lebensunterhalts von Kindern gesetzt.

          Bislang werden die Lebensverhältnisse einkommensschwacher Familienhaushalte zugrunde gelegt. Dazu zählen die unteren 20 Prozent der nach dem Nettoeinkommen gereihten Haushalte. Der Grund: Würden auch Haushalte mit mittlerem Einkommen in die Referenzgruppe einbezogen, bestünde die Gefahr, dass Familien, die staatliche Hilfen für Kinder bekommen, im Ergebnis über ein höheres Einkommen verfügen als jene mit niedrigem Einkommen, die ausschließlich selbst für den Lebensunterhalt ihrer Kinder sorgen.

          Opposition und FDP sind skeptisch

          Die bisherige Ausrichtung des Existenzminimums von Kindern am unteren Rand der Einkommensskala folgt also der Logik, der Bezug staatlicher Hilfen dürfe nicht attraktiver sein, als selbst Geld zu verdienen. Diese Linie sollte man beibehalten, fordert die Unionsfraktion: „Bei den Plänen für eine Neuausrichtung des soziokulturellen Existenzminimums des Kindes muss das Lohnabstandsgebot gewahrt bleiben, damit genug Erwerbsanreize für die Eltern bestehen“, mahnen die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Silvia Breher (CDU) und Stephan Stracke (CSU) in einem gemeinsamen Statement gegenüber der F.A.Z. Überhaupt müsse bei der Ausgestaltung der Kindergrundsicherung darauf geachtet werden, dass Kinder nicht einfach aus der Familiengemeinschaft herausgelöst und isoliert betrachtet werden. „Denn Kinderarmut ist immer Familienarmut.“

          Nicht nur in der Opposition stoßen die Pläne der Familienministerin zum Existenzminimum von Kindern auf Skepsis. Auch beim Koalitionspartner FDP gibt es gewisse Sorgen, die Kindergrundsicherung könne aus dem Ruder laufen. Grundlage für deren Ausgestaltung müssten die Ergebnisse der Arbeitsgruppe sein. Diese habe den „klaren Auftrag, eine statistisch saubere, nachvollziehbare und gerichtsfeste Herleitung eines nach Alter gestaffelten soziokulturellen Existenzminimums für Kinder und Jugendliche vorzulegen“, hebt die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Gyde Jensen hervor. Aufgebaut werden müsse auf Statistiken, die schon heute Basis für sämtliche andere Leistungen wie Bürgergeld oder Kindergeld seien. „Diese Herleitung und die bestehenden Leistungen sind der Anker einer Debatte über eine mögliche Neubemessung, nicht die Ausrichtung an der Mitte der Gesellschaft“, so Jensen gegenüber der F.A.Z. Schließlich sei die Kindergrundsicherung keine neue Sozialleistung, sondern sie werde bestehende Leistungen bündeln, vereinfachen und besser miteinander verzahnen.

          Entscheidend wird am Ende sein, was das Arbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD) als federführendes Ressort zum Baustein Existenzminimum sagt. Doch dort hält man sich bedeckt. In der Interministeriellen Arbeitsgruppe seien noch „wichtige Vorfragen“ zu klären. Ein Fingerzeig mag sein: In der Debatte über das Bürgergeld hatte Heil Forderungen nach einer Erweiterung der Referenzhaushalte über die aktuelle 20-Prozent-Marke hinaus abgewehrt.

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