#IchBinHanna : Wer gut betreut, schadet seiner Karriere
- -Aktualisiert am
Ein voller Hörsaal garantiert keine vollen Taschen: Gerade der akademische Mittelbau hat es unverändert schwer. Bild: dpa
Das bisherige System schließt diejenigen von einer wissenschaftlichen Karriere aus, die sich weder Dauermobilität noch Unsicherheit leisten können. Leider hat sich trotz der #IchBinHanna-Diskussion wenig getan. Ein Gastbeitrag.
Akademische Lehre für etwa drei Millionen Studierende und Forschung zu den relevanten Fragen der Gesellschaft: Das leisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachrichtungen in Deutschland. Wütend macht, dass die meisten unter unsäglichen Arbeitsbedingungen leiden. Unter dem Hashtag #IchBinHanna haben seit Juni Tausende Menschen ihrem Ärger über die deutsche Wissenschaftspolitik Luft gemacht. Bedauerlicherweise hat sich seitdem wenig getan, die Arbeitsverhältnisse an den Universitäten und Fachhochschulen sind nach wie vor ausbeuterisch und forschungsfeindlich.
Das liegt auch daran, dass die voraussichtlich scheidende Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) das Problem nicht erkannt hat. Statt sich mit den Bedingungen guter Forschung und Lehre auseinanderzusetzen, schrieb sie in einem Gastbeitrag, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler seien „Glieder“ in einer „Wertschöpfungskette“. Deren Leistung betrachte sie aber mit Sorge, denn unser Bildungssystem liefere international nur Mittelmaß.
Unserer Überzeugung nach zeigen sich die Schwächen des deutschen Hochschulsystems nicht im internationalen Wettbewerb. Vielmehr verfehlt die unternehmerische Hochschule durch Wettrennen in globalen Rankings und im Kampf um Publikationen und Projektgelder ihren eigentlichen Zweck: Bildung und Forschung. Zurzeit stecken befristet beschäftigte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Energie in Projektanträge. Rein statistisch werden diese meist abgelehnt, de facto fressen sie viel Zeit für Forschung. Auch die Lehre leidet, denn wer Studierende gut betreut, tut dies auf Kosten der eigenen Karriere.
Die neue Leitung des Bildungs- und Forschungsministeriums muss einen Ausweg aus der Misere finden. Sie muss zuerst klären: Wie versteht sie Forschung und Lehre jenseits von Verwertungslogik?
Die Chancengerechtigkeit muss gestärkt werden
Wir glauben, Hochschulen sollten Bildungsinstitutionen sein mit dem Ziel, Studierenden ein Studium in aller Breite und Gründlichkeit zu ermöglichen. Forscherinnen und Forscher brauchen Zeit für ergebnisoffene Fragen und Umwege im Forschungsprozess.
Gemeinsam mit dem „Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft“ (NGAWiss) haben wir konkrete Vorschläge für Personalstrukturen mit Dauerstellen ab der Promotion gemacht. Wir sprechen uns dafür aus, Promovierte als Wissenschaftliche Mitarbeiter fest am Institut – nicht mehr an der Professur – anzustellen. Die Aufstiegsmöglichkeit auf eine Professur bliebe für alle erhalten, die Leitungsfunktionen übernehmen möchten. Alternativ können Promovierte eine Tenure-Track-Professur (häufig auch Juniorprofessur genannt) erhalten, in der sie eine Bewährungszeit von bis zu sechs Jahren bestehen müssen, bevor die Entscheidung zur Entfristung ihrer Stelle fällt. In unserer Publikation haben wir gezeigt, dass das nicht mehr Geld kostet und die erforderliche Lehre weiterhin gesichert ist. Unsere Modellrechnungen beweisen zudem, dass auch Folgegenerationen eine Chance auf eine wissenschaftliche Karriere haben.
Dozentinnen und Dozenten könnten Studierende dann auch längerfristig betreuen und sie auf ihrem individuellen Bildungsweg unterstützen. Auch die Chancengerechtigkeit würden wir so stärken, denn das bisherige System schließt diejenigen von einer wissenschaftlichen Karriere aus, die sich weder Dauermobilität noch Unsicherheit bis in die Lebensmitte leisten können.
Der Zukunftsvertrag verfehlt seinen Zweck
Für einen solchen Kurswechsel an den Hochschulen braucht es politische Steuerung: Erstens muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz reformiert werden, damit Entfristung nach der Promotion der Regelfall ist. Zweitens muss die gegenwärtige Projektfinanzierung reduziert werden, um die Grundfinanzierung der Hochschulen zu stärken – eine Forderung, die längst auch die Hochschulrektorenkonferenz vertritt. Das kann der Bund umsetzen, indem er weniger in die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) investiert. Stattdessen sollten mehr Mittel direkt an Hochschulen und Forschungseinrichtungen fließen.
Und drittens muss die neue Ministerin oder der neue Minister die Länder in die Pflicht nehmen. Diese hatten im 2019 ausgehandelten „Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken“ eine verbindliche Festlegung auf mehr Dauerstellen verhindert. Die Länder müssen aber dazu verpflichtet werden, unbefristete Mittelbaustellen zu schaffen. Das darf jedoch nicht bedeuten, dass sie wie zuletzt sogenannte „Hochdeputate“ einführen, in der die Lehrbelastung bei mehr als acht bis 24 Semesterwochenstunden liegt. Solch hohe Lehrdeputate hindern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, selbst zu forschen und ihre Erkenntnisse in die Lehre einzubringen. Der Zukunftsvertrag verfehlt seinen Zweck, wenn mit Hochdeputaten Lehre zum Billigpreis eingekauft und dadurch geschwächt wird.
Wir brauchen einen grundlegenden Strukturwandel, damit Forscherinnen und Forscher sowie Studierende wieder den Zweck ihrer akademischen Tätigkeit erfüllen können. Denn Bildung und Forschung sind essentielle Werte für eine demokratische Gesellschaft – ganz unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit.
Über die Autoren
Dr. Lisa Janotta ist Erziehungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Rostock am Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik. Seit 2017 ist sie im Koordinationskreis des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) aktiv.
Christopher Lukman ist Medienwissenschaftler und promoviert am Institut für Film- und Theaterwissenschaft an der Freien Universität in Berlin. Er ist Promotionsstipendiat bei der Studienstiftung des deutschen Volkes und seit 2019 im Koordinationskreis des Netzwerks für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss) aktiv.