Kampagne für den Sozialstaat : Happy mit Hartz?
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Wer steckt dahinter? Die Arbeitsagentur, die gemeinsam mit den Kommunen die Jobcenter betreibt, ist nicht an „Happy Hartz“ beteiligt. Bild: dpa
Derzeit sorgt eine ominöse Kampagne mit dem provokanten Titel „Happy Hartz“ für Aufsehen. Zu Wort kommen sollen jene Menschen, „denen unser Sozialsystem Sicherheit gibt und Chancen eröffnet“. Wer steckt dahinter?
Das Leben lässt sich manchmal grausame Geschichten einfallen, auf die selbst das kreativste Werberhirn nicht käme. So wurde am Dienstag bekannt, dass ein Mitarbeiter eines kommunalen Jobcenters in Nordrhein-Westfalen Opfer einer Messerattacke geworden ist. Ein Tatverdächtiger wurde festgenommen und soll als Motiv gestanden haben, dass der Sachbearbeiter ihm nach Versäumnissen seine Hartz-IV-Leistungen gekürzt hatte – so, wie es durch das Gesetz vorgesehen ist. Das Opfer hat mit Verletzungen an Bauch und Oberkörper überlebt. Leider sind solche Übergriffe kein Einzelfall. Immer wieder kommt es zu Gewalttaten in Jobcentern. Es gab schon Todesopfer.
Am selben Tag startete eine Kampagne mit dem provokanten Titel „Happy Hartz“. In der Pressemitteilung heißt es, die Kampagne „richtet sich vor allem an eine junge Zielgruppe, die sich der weltweit einzigartigen Privilegien des deutschen Sozialstaates oftmals nicht bewusst ist“. Das Herzstück der Kampagne: Im Internet sollen jene Menschen zu Wort kommen, „denen unser Sozialsystem Sicherheit gibt und Chancen eröffnet“. Die Initiative, heißt es weiter, möchte zum Erhalt einer pragmatischen Sozialpolitik beitragen, die globale Wettbewerbsfähigkeit und soziale Verantwortung in der Balance hält. Wer hinter der Initiative steckt, dazu gibt es kein Wort.
„Hartz IV schenkt mir Freiheit“
Der angegebene Internet-Hinweis führt auf die Seite mein-jobcenter.com, wo sich drei kurze Videos befinden. Menschen, die über die Vorzüge von Hartz IV schwärmen und angeben, selbst davon zu leben. Als Erstes kommt Anna, 28 Jahre alt, alleinerziehend. „Hartz IV schenkt mir Freiheit“, schwärmt die gelockte Brillenträgerin, so könne sie sich gleichzeitig um ihren Sohn und Studium und Karriere kümmern. Es folgt Andreas, der sich mit seinen 47 Jahren nochmal als Tischler selbständig macht und von vorne anfangen will. Derzeit nimmt er sogar an einem Computerkurs teil. Schließlich Timo, 17, im Blaumann: Seine Mutter sei eine Schlecker-Frau und er deshalb schon früh von Hartz abhängig gewesen. Die Sozialhilfe habe ihm aber geholfen, eine Ausbildung anzufangen, weiß Timo und erinnert voll korrekt daran, „dass das alles Geld kostet.“ Von wegen nur gammeln und chillen!
„Das sind alles echte Hartz-Bezieher“, versichert die Mitarbeiterin der Berliner PR-Agentur Parnass, welche die Kampagne betreut. Und die teils schrecklich aufgesetzt und überzogen wirkende Lockerheit der Darsteller, die an eine schlechte Laienschauspielertruppe erinnert? Nein, sagt die Werbefrau, es handele sich nicht um Satire. Nachprüfen lässt es sich aber nicht, denn Nachnamen und Kontaktdaten gebe man nicht raus. Zum Schutz der Personen, heißt es, bei einem solch emotionalen Thema wisse man ja nie. Auch zu den Initiatoren lassen, sich kaum etwas erfahren. Parteien und Verbände hätten ihre Finger jedenfalls nicht im Spiel. Es handele sich um eine zweistellige Zahl an Personen etwa aus Wirtschaft und Wissenschaft, Freunde des Sozialstaats sozusagen, die ein Interesse daran hätten, dass die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen in ein besseres Licht gerückt würden. „Wir wollen die positiven Geschichten erzählen“, sagt die Öffentlichkeitsarbeiterin. Deshalb sollten sich weitere Hartz-IV-Empfänger melden und ihre eigenen Geschichten erzählen.
Die Arbeitsagentur ist nicht daran beteiligt
Davon rät die Bundesagentur für Arbeit allerdings dringend ab. „Wir wissen nicht, wer hinter der Aktion steckt und wie es zum Beispiel mit dem Datenschutz aussieht“, sagt eine Sprecherin. Die Arbeitsagentur, die gemeinsam mit den Kommunen die Jobcenter betreibt, sei jedenfalls nicht an „Happy Hartz“ beteiligt. Auch wenn es durchaus positive Geschichten gebe, würde die Behörde die Bedürftigen nicht aktiv animieren, sich damit im Internet zu positionieren.
Im Netz wird die Kampagne schon seit dem Wochenende diskutiert, nachdem durch „eine Panne“ (Parnass) ein Plakat in Berlin vorzeitig publik wurde – ausgerechnet am U-Bahnhof Rosa-Luxemburg-Platz. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter findet sich unter #dubistesunswert allerdings nur eine überschaubare Anzahl an Kommentaren, deren Tiefgang sich zumeist in Adjektiven wie „beknackt“ und „weltfremd“ erschöpft. Die Agentur dagegen freute sich am Dienstag über eine „erhebliche Zahl“ von Rückmeldungen – viele positive, einige aggressiv und erschütternd.
Nicht nur in Werberkreisen wird heftig spekuliert, wer hinter der Aktion steckt. Handelt es sich um Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, die dem aus ihrer Sicht menschenverachtenden Hartz-System ein Ende bereiten wollen? Sind darunter Betroffene, die mit beißendem Zynismus auf ihre Lage aufmerksam machen wollen? Oder sind es tatsächlich Befürworter des deutschen Wohlfahrtsstaates, die auf eher eigenwillige Weise dessen hohe Leistungsfähigkeit in den Vordergrund rücken wollen?
Eine Auflösung könnte es in rund vier Wochen geben. So lange sollen Happy-Hartz-Plakate geklebt und neue Videos – so sie zustande kommen – geschaltet werden. Die Wirklichkeit in deutschen Jobcentern wird sich durch solche Kampagnen jedoch kaum beeinflussen lassen.