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Arbeitgeber kritisieren Urteil : „Wir sind gegen die Stechuhr“

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Moderne Stechuhr Bild: dpa

Arbeitgeber müssen die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer komplett erfassen, verlangen die Richter des Europäischen Gerichtshofs. Die deutschen Arbeitgeber reagieren mit Kopfschütteln auf das Urteil.

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          Die deutschen Arbeitgeber haben entsetzt auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über eine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung reagiert. Diese Entscheidung wirke wie aus der Zeit gefallen, monierte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) am Dienstag in Berlin.

          „Wir Arbeitgeber sind gegen die generelle Wiedereinführung der Stechuhr im 21. Jahrhundert“, hieß es in einer Stellungnahme. „Auf die Anforderungen der Arbeitswelt 4.0 kann man nicht mit einer Arbeitszeiterfassung 1.0 reagieren.“ Die Entscheidung dürfe keine Nachteile für Arbeitnehmer mit sich bringen, die flexibel arbeiteten. Auch künftig gelte aus Sicht der BDA: „Der Arbeitgeber kann seine Arbeitnehmer verpflichten, die von ihnen geleistete Arbeit selbst aufzuzeichnen.“

          Der Deutsche Gewerkschaftsbund dagegen begrüßt das Urteil. „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so“, sagte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach am Dienstag in Berlin. Nun müsse Deutschland eine gesetzliche Grundlage für eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung schaffen. Buntenbach sagte, diese Rechte blieben heute oft auf der Strecke, wenn Arbeitszeiterfassung fehle und Beschäftigte Arbeitszeitregeln nicht durchsetzen könnten. Die Zahl der unbezahlten Überstunden in Deutschland sei inakzeptabel hoch und komme „einem Lohn- und Zeitdiebstahl gleich“. Innerhalb eines Jahres „wirtschaften sich die Arbeitgeber so rund 18 Milliarden Euro in die eigene Tasche“.

          Wie kam es zu dem Urteil?

          Der EuGH hatte entschieden, dass die EU-Staaten Arbeitgeber verpflichten müssen, Systeme zur Arbeitszeiterfassung einzurichten. Nur so lasse sich überprüfen, ob zulässige Arbeitszeiten überschritten würden. Und nur das garantiere die im EU-Recht zugesicherten Arbeitnehmerrechte. (Rechtssache C-55/18)

          Im konkreten Fall hatte eine spanische Gewerkschaft die Deutsche Bank in Spanien verklagt. Die Bank sollte dazu verpflichtet werden, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer voll aufzuzeichnen. Nach spanischem Recht ist dies nur für Überstunden vorgeschrieben. Doch ohne auch die reguläre Arbeitszeit zu messen, könnten geleistete Überstunden nicht ohne weiteres bestimmt werden, machte die Gewerkschaft geltend. Nach Erkenntnis des mit dem Fall befassten Obersten Gerichtshofs in Madrid werden 53,7 Prozent der in Spanien geleisteten Überstunden nicht erfasst.

          In Deutschland gibt es vergleichbare Regelungen im Arbeitszeitgesetz. Demnach müssen Arbeitgeber nur „die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit aufzeichnen“. Wie die Arbeitszeiterfassung aussehen soll, etwa per Stempeluhr, per Smartphone-App oder einfach nur mit einer Zettelwirtschaft, ist nicht vorgeschrieben.

          Der EuGH verwies nun auf die EU-Grundrechte-Charta. Laut dieser habe jeder Arbeitnehmer das Recht „auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“. Dieses Recht sei in der EU-Arbeitszeitrichtlinie weiter konkretisiert. Doch ohne ein System zur Messung der täglichen Arbeitszeit könne „weder die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden und ihre zeitliche Verteilung noch die Zahl der Überstunden objektiv und verlässlich ermittelt werden“. Arbeitnehmern sei es dann nur äußerst schwierig oder gar praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen.

          „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so“: DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach
          „Das Gericht schiebt der Flatrate-Arbeit einen Riegel vor – richtig so“: DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach : Bild: dpa

          Die objektive Bestimmung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit sei daher unerlässlich, erklärten die Richter. Ein Arbeitszeiterfassungssystem sei hier ein besonders wirksames Mittel. Nicht entschieden hat der EuGH, ob ein unmittelbarer Anspruch eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf Arbeitszeiterfassung besteht oder ob erst einmal die EU-Mitgliedstaaten dazu Regelungen erlassen müssen.

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