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Politische Unsicherheiten : Nervosität an den Anleihemärkten

Politisches und wirtschaftliches Umfeld offenbaren hohe Nervosität an den Anleihemärkten. Bild: dpa

Der Anstieg der Renditen gründet derzeit mehr auf Stimmungen und Vermutungen denn auf harten Fakten. Aber unplausibel sind diese Stimmungen und Vermutungen nicht.

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          An den Finanzmärkten trauen viele Teilnehmer ihren Augen nicht. Die Renditen für Anleihen mit langen Laufzeiten steigen rund um den Globus, obgleich sich die kurzfristigen, von den Notenbanken festgelegten Zinsen nicht verändert haben. Die historisch niedrigen Spannen zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen beginnen sich zu weiten. Nach herkömmlichen Denkmustern verbinden sich mit einer sich weitenden Zinsspanne die Annahmen eines kräftigeren Wirtschaftswachstums und eines zunehmenden Inflationspotentials. Diese Annahmen passen aber nicht in das festgefügte Bild einer blutleeren, von Niedrigwachstum und Niedriginflation geprägten Weltwirtschaft. Das ist ein wichtiger Grund, warum viele Teilnehmer an den Finanzmärkten den Anstieg der Renditen nicht vorausgesehen hatten.

          Der Anstieg der Renditen gründet derzeit mehr auf Stimmungen und Vermutungen denn auf harten Fakten. Aber unplausibel sind diese Stimmungen und Vermutungen nicht. Erstens werden an den Finanzmärkten seit mehreren Monaten Debatten über die Erträge und die Kosten einer sehr expansiven Geldpolitik geführt. Auch wenn diese Erträge und Kosten nicht genau beziffert werden können, ist die Überzeugung gewachsen, dass der Nutzen einer sehr expansiven Geldpolitik im Laufe der Zeit geringer wird und im Gegenzug die Kosten zunehmen dürften. Neben den Zweifeln am Ergebnis der Geldpolitik wurde in die Debatte die Frage eingebracht, ob expansive Geldpolitik durch eine expansivere Finanzpolitik ersetzt werden könnte, als deren Begleiteffekt die Renditen vor allem für langfristige Anleihen steigen würden. In der Folge begannen die Renditen seit dem Sommer zu klettern, aber zunächst fand das Phänomen kaum Beachtung.

          Seit dem Wahlsieg Donald Trumps hat sich der Anstieg der langfristigen Anleiherenditen merklich beschleunigt. Denn nunmehr wird expansive Finanzpolitik an den Märkten als ein Mittel betrachtet, das für populistische Politiker ebenso interessant sein könnte wie für Politiker etablierter Parteien, die Populisten von der Macht fern halten wollen. Mit dem Begriff expansive Finanzpolitik verbindet sich die Vorstellung höherer Staatsschulden, die zur Finanzierung von Steuersenkungen oder staatlicher Infrastrukturausgaben verwendet werden. Vor allem die Kombination aus Schuldenfinanzierung und Steuersenkungen könnte Politikern attraktiv erscheinen, um möglichst schnell Menschen zu erreichen, die sich wirtschaftlich benachteiligt fühlen. Eine höhere Staatsverschuldung würde den Realzins treiben sowie, zumindest in einer nahe der Vollbeschäftigung befindlichen Wirtschaft wie den Vereinigten Staaten, möglicherweise auch die Inflationsrate. Und weil die Vereinigten Staaten als wichtigste Volkswirtschaft Einfluss auf das Renditeniveau der Welt nehmen, steigen rund um den Globus die Renditen der Anleihen.

          Politischer Wille für expansive Finanzpolitik muss her

          Damit das an den Finanzmärkten kursierende Szenario eintrifft, muss zunächst einmal der politische Wille für eine expansive Finanzpolitik vorhanden sein. Ob Trump seine Ankündigungen zu Steuersenkungen und Infrastrukturausgaben aus dem Wahlkampf umsetzen wird, ist unklar. Und ob eine expansive Finanzpolitik viel Inflation erzeugt, ist schwer vorauszusagen, denn die Erfahrungen mit solchen Programmen sind widersprüchlich. Außerdem stellt sich die Frage, wie viele Länder sich angesichts hoher Schuldenstände eine expansive Finanzpolitik überhaupt leisten könnten, ohne dass Fragen nach der Tragfähigkeit ihrer Staatsverschuldung entstünden. Die Vereinigten Staaten besäßen dieses Potential, während dies in Europa nicht von jedem Staat behauptet werden könnte.

          Eine Trendwende zu nachhaltig steigenden Anleiherenditen ist daher zwar möglich, aber keineswegs sicher. Dennoch fällt auf, dass auch Vertreter gewöhnlich unaufgeregter Institutionen wie der Deutschen Bundesbank und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Teilnehmer vor der Möglichkeit stark steigender Renditen und den damit verbundenen herben Kursverlusten auf vorhandene Anleihebestände warnen. Stark steigende Renditen sind denkbar, wenn die in den kommenden Monaten bevorstehenden Wahlen und Volksabstimmungen noch größere Unsicherheit über die Zukunft Europas schaffen und die Marktteilnehmer für Anleihen potentieller Krisenländer hohe Risikoprämien verlangen sollten.

          Die politische Unsicherheit wächst in einer Zeit, in der die Geldpolitik als Stabilitätsgarant für die Finanzmärkte weniger sichtbar wird. In der vergangenen Woche haben drei Führungsmitglieder der Europäischen Zentralbank Reden gehalten, ohne den Anstieg der Renditen zu thematisieren. Auch in den Vereinigten Staaten zeigt sich die Fed nicht beunruhigt. Natürlich nimmt die Geldpolitik Einfluss auf die Anleiherenditen, aber gerade langfristige Renditen werden, wie in diesen Wochen ersichtlich, auch von anderen wirtschaftlichen Größen wie dem Spar- und Investitionsverhalten sowie der Risikoneigung der Anleger beeinflusst. Es bleibt spannend: Das politische wie das wirtschaftliche Umfeld spricht für eine hohe Nervosität an den Anleihemärkten mit starken Bewegungen der Renditen auch in den kommenden Monaten.

          Gerald Braunberger
          Herausgeber.

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