Gesundheitswesen : „Daten teilen heißt heilen“
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Ein Amtsarzt Mitte erklärt im Lagezentrum eines Gesundheitsamts eine neue Software. Bild: dpa
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen geht viel zu schleppend voran, sagen Experten. Das zeige die Pandemie. Der Datenschutz sei veraltet, die Forschung müsse einfacher an Informationen kommen.
Der Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen kann Leben retten, weshalb sich Deutschland in diesem Feld viel stärker anstrengen sollte. Zu diesem Schluss kommt der Sachverständigenrat Gesundheit (SVR) in einem Gutachten, das er am Mittwochmorgen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) übergeben hat. Die Politik habe zwar einen richtigen Weg eingeschlagen, es gebe aber noch immer viele Fehlentwicklungen, sagte der Vorsitzende des Rats, der Frankfurter Medizinprofessor Ferdinand Gerlach: „Ziel muss die Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung sein: hin auf ein digitales, ein systematisch lernendes Gesundheitssystem.“ Was fehle, sei eine gezielte Strategie zur Digitalisierung des Medizinwesens.
Leben und Gesundheit der Menschen in Deutschland könnten besser geschützt werden, wenn „endlich“ die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt würden, und zwar „verantwortlich und wissenschaftlich sinnvoll“, heißt es in dem Gutachten. Natürlich dürften die Daten nicht in falsche Hände gelangen. Aber es müssten die Voraussetzung geschaffen werden, dass sie in die richtigen Hände gelangten, etwa die der Heilberufe und die der Wissenschaftler, die erforschen, was gesund hält, was krank macht und wie man diese Leiden bekämpft. „Daten teilen heißt besser heilen“, reimte Gerlach.
Er erinnerte daran, dass die Deutschen jetzt schon Abermillionen Daten am Tag erzeugten und verbreiteten, auch solche mit Gesundheitsbezug. „Die meisten dieser Daten wandern in die Arme von Datenkraken außerhalb der EU und werden von diesen für kommerzielle Zwecke, Werbung und Angebote ausgewertet.“ Erstaunlicherweise würden gleichzeitig „in Deutschland Probleme aufgetürmt, die eine sinnvolle Datennutzung fast unmöglich machen“.
Gerlach nannte in diesem Zusammenhang die Skepsis gegenüber der elektronischen Patientenakte (ePA) und generell gegenüber der Sammlung von Daten zur besseren Gesundheitsversorgung, zur Forschung, Prävention, Diagnostik und Therapie. „Das ist unverantwortlich. Länder wie Dänemark oder Estland, in denen auch die Datenschutzgrundverordnung gilt, nutzen die Chancen der Digitalisierung viel besser“, sagte der Mediziner. Die Datennutzung müsse sich am Patientenwohl orientieren, und sie müsse sowohl die bisher schon zugänglichen Abrechnungsinformationen einbeziehen, etwa über die verschriebenen Medikamente, als auch die zugehörigen Behandlungsdaten, zum Beispiel über Allergien, Blut- oder Röntgenuntersuchungen.
Gerlachs Stellvertreter im Sachverständigenrat, der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner, stellte einen Bezug zur Corona-Pandemie her. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, wie wichtig es gewesen wäre, elektronisches Teilwissen miteinander zu verknüpfen, etwa die Details zu den Ansteckungen mit Bewegungs- und Kontaktdaten. Auf diese Weise hätte sich einschätzen lassen, welche Situationen besonders risikoreich waren. „Mit diesem Wissen könnten Maßnahmen zur Eindämmung viel gezielter sein“, so Greiner.