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Amerikas Schuldenhistorie : Die sanfte Enteignung der Sparer

Vertrauen ist gut - Kontrolle war schon immer besser

Vertrauen ist gut - Kontrolle war schon immer besser Bild: dpa

Die Vereinigten Staaten haben es schon früher geschafft, gewaltige Schuldenberge abzutragen. Gold als mögliche alternative Anlage, die Schutz gegen Inflation geboten hätte, war privaten Anlegern noch bis 1974 verboten.

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          Noch nie waren die Staatsschulden in Friedenszeiten so hoch wie jetzt. Die amerikanische Schuldenquote nähert sich der 100-Prozent-Marke gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Die Vereinigten Staaten haben es aber früher geschafft, sogar noch gewaltigere Schuldenberge abzutragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Schuldenquote kurzzeitig auf 121 Prozent gestiegen, die Regierung konnte sie danach aber rasch abbauen. Allerdings waren die Bedingungen der Nachkriegsjahrzehnte ganz anders als heute. Damals halfen starkes Wachstum – und Inflation in Verbindung mit Zinsobergrenzen. Durch die recht hohe Geldentwertung verminderte sich die reale Schuldenlast der Staaten.

          Philip Plickert
          Wirtschaftskorrespondent mit Sitz in London.

          Dass die bald chronische Inflation nicht zu steigenden Zinsen führte, hatte einen Grund, der heute beinahe vergessen ist: „finanzielle Repression“ der Staaten. Durch eine ganze Reihe von Gesetzen und Vorschriften übten die Staaten diskreten Druck auf Anleger und Sparer aus, dass diese ihre niedrig verzinsten Anleihen kauften und hielten, obwohl diese oft weniger als die Inflation abwarfen. Das haben die amerikanischen Ökonominnen Carmen Reinhart, die Co-Autorin des berühmten Rogoff-Buchs über historische Schuldenkrisen, und M. Belen Sbrancia jüngst analysiert. Zum Beispiel hatten Banken und Versicherungen „aus Liquiditäts- und Sicherheitsgründen“ einen bestimmten Anteil ihrer Aktiva in Staatsanleihen zu halten. Für Bankeinlagen galt eine Zinsobergrenze. Kapitalkontrollen verhinderten den Abfluss von Geld ins Ausland. Und Gold als mögliche alternative Anlage, die Schutz gegen Inflation geboten hätte, war privaten Anlegern in den Vereinigten Staaten noch bis 1974 verboten.

          Nach Berechnung von Reinhart und Sbrancia waren in den entwickelten Volkswirtschaften in der Hälfte aller Jahre von 1945 bis 1980 die realen Zinsen negativ. Das heißt, die Inflation lag höher als die Nominalzinsen auf Staatsanleihen. So gelang es den hochverschuldeten Staaten, ihre Schuldenlast drastisch zu senken. Unterstützt von kräftigen Wachstumsraten nach dem Krieg konnten etwa die Vereinigten Staaten ihre Schuldenquote in nur einem Jahrzehnt auf 60 Prozent halbieren. In den siebziger Jahren sank die Schuldenquote in Richtung 30 Prozent. Noch drastischer ist das Bild in Großbritannien: Dort lag die Schuldenquote nach dem Krieg bei unglaublichen 235 Prozent der Wirtschaftsleistung, halbierte sich bis Mitte der fünfziger Jahre auf 160 Prozent und fiel in den siebziger Jahren unter 50 Prozent. Wachstum und Inflation halfen dem Staat, seine Schulden abzubauen.

          Wie eine verdeckte Steuer

          Die „finanzielle Repression“ wirkte faktisch wie eine verdeckte Steuer auf (Zwangs-)Anleger. Der Maximalzins durch die sogenannte „Regulation Q“ lag seit Mitte der sechziger Jahre deutlich unter der Rendite von Staatspapieren, so dass viele Sparer auf diese (ebenfalls schlecht verzinsten) Anleihen zurückgriffen. Die verdeckte Steuer auf die Ersparnisse war einfacher durchzusetzen als Steuern für die Allgemeinheit oder Ausgabenkürzungen, schreiben Reinhart und Sbrancia. Nach Berechnung der beiden Ökonominnen ermöglichte die „finanzielle Repression“ den Vereinigten Staaten und Großbritannien, durch real negative Zinsen ihre Schuldenlast jährlich um 3 bis 4 Prozent zu reduzieren.

          Die „finanzielle Repression“ war bis in die siebziger Jahre eine globale Praxis, wie Reinhart und Sbrancia darstellen. Seit der Liberalisierung der Kapitalmärkte in den achtziger Jahren ist die Zeit der staatlich niedrig gehaltenen Zinsen indes vorbei. Kapital kann flüchten, wenn ihm in einem Land zu enge Fesseln angelegt werden. Einige Elemente der „finanziellen Repression“ gibt es indes heute noch, so zum Beispiel eine strukturelle Bevorzugung von Staatsanleihen durch geringere Eigenkapitalunterlegungspflichten oder Quoten für Versicherungen. In einigen Schwellenländern wie China übt die Regierung offen Druck aus auf die Banken, um sich günstig finanzieren zu können. Und in Japan ist die staatliche Postbank einer der Hauptgläubiger des hochverschuldeten Staates.

          Seit Ausbruch der Schuldenkrise haben auch in den westlichen Ländern die Zentralbanken mit einer diskreten Finanzierung von öffentlichen Haushalten begonnen: Das Ankaufprogramm der amerikanischen Zentralbank Fed fällt darunter, die allein mit der zweiten Welle der „quantitativen Lockerung“ Staatsanleihen im Wert von 600 Milliarden Dollar gekauft hat. Mittlerweile halten Zentralbanken nahezu die Hälfte aller marktfähigen amerikanischen Staatspapiere, betonen Volkswirte der Commerzbank. Ohne diesen Eingriff auf dem Rentenmarkt läge der Zins der amerikanischen Treasuries rund 70 Basispunkte höher. Dann wäre die Last des Schuldendienstes für den amerikanischen Finanzminister deutlich schwerer.

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