Niederlage für Amazon : Streiks auf dem Betriebsgelände sind legal
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Ein Mitarbeiter von Amazon streikt im März 2018 vor dem Amazon-Logistik-Zentrum in Werne. Bild: dpa
Das Bundesarbeitsgericht hat das Streikrecht in Deutschland gestärkt: Gewerkschaften dürfen auch auf dem Betriebsgelände streiken. Amazon kassiert damit in einem jahrelangen Streit mit Verdi eine Niederlage.
Gewerkschaften dürfen unter bestimmten Bedingungen auf dem Betriebsgelände ihres Tarifgegners streiken und Mitarbeiter ansprechen. Das hat das Bundesarbeitsgericht am Dienstag in Erfurt entschieden. Mit dem Grundsatzurteil stärkte das höchste deutsche Arbeitsgericht das Streikrecht in Deutschland. Geklagt hatte der amerikanische Onlinehandelsriese Amazon, der verhindern wollte, dass Verdi einen Parkplatz vor dem Haupteingang am Amazon-Standort Pforzheim (Baden-Württemberg) für Streiks nutzt. Verdi hatte argumentiert, dass es keine Alternative gegeben hätte, um mit Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Dem folgte das Gericht.
Allerdings sei dies „kein Freibrief für jedwede gewerkschaftliche Aktion“, sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt in der Urteilsbegründung. Vielmehr steckten die Erfurter Arbeitsrichter erste Grenzen ab: Schmidt betonte, dass im konkreten Fall der Arbeitgeber eine kurzzeitige, situative Inanspruchnahme geringer Flächen des Firmenparkplatzes hinzunehmen hat.
Auch die Verhältnisse vor Ort spielen eine Rolle. Der Parkplatz am Amazon-Standort Pforzheim befindet sich unmittelbar vor dem Haupteingang, die meisten Mitarbeiter kommen mit dem Auto zur Arbeit und würden wohl an den Verdi-Streikposten vorbeifahren, wenn die Gewerkschafter auf einen öffentlichen Gehweg vor dem Betriebsgelände ausweichen müssten.
„Ohne diese zeitlich wie örtlich aber sehr begrenzte Mitwirkung liefe das Recht der Gewerkschaft leer“, ihren Forderungen gegenüber dem Arbeitgeber durch Streik Nachdruck zu verleihen, wie das Gericht feststellte.
In einem Statement erklärte das Amazon, es respektiere das Recht jedes Einzelnen Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und an rechtmäßigen Streiks teilzunehmen. Ob Amazon mit dem Fall noch bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen wird, konnte ein Sprecher zunächst nicht sagen.
Verdi wertete die Entscheidung als „Riesen-Erfolg“. „Heute ging es um nichts geringeres als um die Reichweite des Streikrechts“, sagte Jens M. Schubert von Verdi. Seiner Meinung nach reiche das Urteil zudem weit über den konkreten Fall hinaus, weil auch andere Firmen vor ihren Werkshallen zum Beispiel große Parkplätze hätten.
Grundsätzliche Bedeutung
Verdi-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger erklärte, das BAG habe anerkannt, „dass dem verfassungsrechtlich verbrieften Streikrecht Vorrang gegenüber dem Besitzrecht an einem Betriebsparkplatz gebühren kann“.
Verdi versucht seit Jahren, bei Amazon eine Vergütung nach dem Tarif des Einzelhandels durchzusetzen. Dem weltweit größten Online-Händler wirft die Gewerkschaft eine „grundsätzliche Verweigerungshaltung gegenüber Tarifverträgen“ vor. Bei Streiks im September 2015 und im März 2016 hatte die Gewerkschaft unter anderem bei Amazon in Pforzheim Informationstische und Streikposten vor dem Haupteingang auf einem betriebseigenen Parkplatz aufgestellt. Vor den Arbeitsgerichten wollte Amazon dies der Gewerkschaft für die Zukunft untersagen lassen. Amazon müsse eigenes oder gemietetes Gelände nicht für gegen das Unternehmen gerichtete Streiks hergeben.
Nach Ansicht des Göttinger Arbeitsrechtlers Olaf Deinert hat der Fall eine grundsätzliche Bedeutung, „weil es auch um die Frage geht, ob ein Arbeitgeber das Streikrecht zurückdrängen und aushöhlen kann“. Deinert ist Professor für Bürgerliches Recht sowie Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Göttingen.
Amazon und Verdi streiten sich schon seit längerem erbittert – es gab immer wieder Streikaktionen auch an größeren Standorten wie Bad Hersfeld oder Leipzig. Die Gewerkschaft will erreichen, dass die Amazon-Mitarbeiter nach den Tarifbedingungen des Einzel- und Versandhandels bezahlt werden. Dagegen wehrt sich Amazon. Der Konzern orientiert sich bislang an der Vergütung in der Logistik-Branche.