Aktivhaus „B10“ : Wohnhaus der Zukunft
Bild: Zooey Braun
Das Aktivhaus „B10″ in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung nutzt Energie dann, wenn sie besonders günstig, ist und versorgt auch gleich die Nachbarn mit. Außerdem ist es in nur einem Tag aufgebaut – gut so, denn es soll auf Reise gehen.
So sieht intelligentes Wohnen aus: Die Waschmaschine läuft, wenn der Strom günstig ist. Die Raumtemperatur passt sich den Wetterbedingungen an. Und die Photovoltaikanlage auf dem Dach produziert so viel Energie, dass sie nicht nur für die Elektroautos vor der Haustür reicht, sondern für die umliegenden Häuser gleich mit.
Reine Zukunftsvision? Nicht in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Dort, wo Bauten weltberühmter Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Walter Gropius zu finden sind, steht das erste „Aktivhaus“ der Welt. Das Wohngebäude mit dem Namen „B10“ – benannt nach seinem Standort im Bruckmannweg 10 – stellt mehr als doppelt so viel Energie aus erneuerbaren Quellen her, als es selbst benötigt, und versorgt zwei Elektroautos sowie das benachbarte Weißenhofmuseum in einem der Le-Corbusier-Bauten mit. Aus unbehandeltem Holz gebaut und von außen mit einem Glasfaser-Gewebe überzogen, ist es zu 100 Prozent recycelbar. Zudem ermöglicht eine intelligente Vernetzung wichtiger Hausgeräte per Software, dass sich Energieerzeugung und -verbrauch optimal aufeinander abstimmen.
Ein Aktivhaus denkt voraus
Geprägt hat den Begriff „Aktivhaus“ der deutsche Architekt Werner Sobek, der im Bereich des nachhaltigen Bauens als einer der wichtigsten Architekten der Gegenwart gilt und das Aktivhaus geplant hat. „Wesentliches Kennzeichen von B10 ist, dass es vorausschauend reagiert“, erklärt Sobek. Und nennt auch gleich ein Beispiel: „Energie wird dann verbraucht, wenn sie gerade besonders günstig ist.“ Es kann somit viel mehr als sogenannte Passivhäuser, die sich dadurch auszeichnen, aufgrund optimaler Wärmedämmung keine eigene Heizung zu benötigen. Das Aktivhaus ist Teil des von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Forschungsprojekts „Schaufenster Elektromobilität“, das Vorhaben rund um Energieeffizienz und Elektromobilität fördert. Drei Jahre steht das Wohnhaus nun in der Weißenhofsiedlung. Seit seiner Eröffnung vor drei Monaten hat es schon mehrere tausend Besucher angelockt. Nun beginnen die Forschungen. Zunächst testen vier Personen, ob das Haus sich auch als Arbeitsplatz eignet. Danach wird es dann Vollzeit von zwei Studenten bewohnt. Diese können sich im Vorfeld für die kostenlose Unterbringung bewerben, besondere Vorkenntnisse brauchen sie nicht. Als Gegenleistung berichten sie den Forschern von ihren Erfahrungen. Zudem erhebt die Universität Stuttgart Daten zur Energieeffizienz und der intelligenten Gerätevernetzung und wertet sie aus. Wenn die Forschungen dann abgeschlossen sind, wird das Grundstück in seinem ursprünglichen Zustand an die Stadt Stuttgart zurückgegeben und das Aktivhaus an einem anderen Ort aufgebaut. Wohin genau die Reise geht, wissen Sobek und seine Mitstreiter aber noch nicht. Da das Haus sich aus zwei größeren, container-ähnlichen Stücken zusammensetzen lässt, dauert der Aufbau aber nur einen Tag.
Kommt die Energieautonomie?
Ein übliches Fertighaus ist das B10 deshalb aber nicht. Das Aktivhaus garantiere hohen Wohnkomfort, betont Sobek. Je nach Wunsch seiner Bewohner seien die Maße und die Ausstattung individualisierbar. Der Prototyp in Stuttgart hat eine Wohnfläche von rund 80 Quadratmetern. Sollten Aktivhäuser wie das B10 bald zu kaufen sein, wird der Quadratmeter rund 3000 Euro kosten, schätzt Sobek. Dafür müsse der Besitzer nie wieder eine Stromrechnung bezahlen. Schon jetzt erreichen den deutschen Architekten Anfragen aus dem Ausland, um Aktivhäuser auch dort zu realisieren. Für Deutschland hat Sobek die Vision, dass in näherer Zukunft ganze Aktivhaus-Verbünde entstehen. „Neue Häuser sollen alte mitversorgen können – wir nennen es das Prinzip der Schwesterlichkeit“, sagt der Nachhaltigkeitsverfechter. Der Vorteil dieses Systems liegt auf der Hand: Denkmalgeschützte Häuser müssten nicht erst aufwendig saniert und wärmegedämmt werden, sondern würden von ein paar Aktivhäusern mit Energie aus nachhaltigen Quellen versorgt. Da diese Verbünde nicht mehr auf Energiezufuhr von außen angewiesen wären, könnten sie das Ziel einer lokalen und unabhängigen Energieversorgung verwirklichen.