Silicon Sexismus : „Eine Kultur der Geringschätzung“
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Ellen Pao war eine der ersten Frauen, die sich über den „Silicon Sexismus“ beschwerte. Vor Gericht zog sie jedoch den Kürzeren. Bild: Reuters
Uber ist kein Einzelfall: Im Silicon Valley häufen sich die Vorwürfe von Frauen, sexuell belästigt worden zu sein. Und jetzt trauen sich die Betroffenen auch, Namen zu nennen.
Die Technologieszene im Silicon Valley ist schon seit geraumer Zeit als unwirtliches Revier für Frauen bekannt. In Unternehmen wie Facebook, Google oder Uber sind kaum mehr als 30 Prozent der Belegschaft weiblich. Nach einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie der staatlichen amerikanischen Gleichstellungsbehörde EEOC liegt der Frauenanteil in der Technologieindustrie weit unter dem Durchschnitt aller Branchen. Das ist eigentlich ein erstaunlicher Befund, herrscht doch im Silicon Valley ein Selbstverständnis als progressives Umfeld, in dem nur die Leistung zählt und Vielfalt („Diversity“) zelebriert wird.
Es ist Susan Fowler zu verdanken, dass die Debatte über Sexismus im Silicon Valley in diesem Jahr eine ganz neue Dynamik bekam. Die frühere Mitarbeiterin des Fahrdienstes Uber veröffentlichte im Februar einen Blogeintrag, der in der ganzen Branche hohe Wellen schlug. Sie beklagte nicht nur ein allgemein frauenfeindliches Klima bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber, sondern auch, dass ihr dortiger Vorgesetzter sie sexuell belästigt habe. Sie beschrieb außerdem ihre vergeblichen Versuche, die Personalabteilung zum Einschreiten zu bewegen.
Fowlers Beschuldigungen veranlassten Uber, den früheren amerikanischen Justizminister für eine interne Untersuchung der Unternehmenskultur zu rekrutieren, deren Ergebnisse alles andere als schmeichelhaft ausfielen. Dies sowie eine Reihe anderer Skandale und Enthüllungen trugen dazu bei, dass Travis Kalanick kürzlich auf Druck von Investoren als Vorstandsvorsitzender von Uber zurücktreten musste.
Nicht ganz freiwillig : Uber-Chef Kalanick tritt zurück
Lawine losgetreten
Womöglich war es die gewaltige Resonanz auf Fowlers Geschichte, die jetzt auch andere Frauen ermutigt hat, mir ihren eigenen Erlebnissen in der Technologieindustrie an die Öffentlichkeit zu gehen. In den vergangenen Wochen meldeten sich in amerikanischen Medien eine ganze Reihe von Frauen zu Wort und berichteten, wie sie sexuell belästigt worden seien.
Dabei gingen einige von ihnen sogar noch weiter als die frühere Uber-Mitarbeiterin und nannten die Männer, von denen sie sich bedrängt fühlten, beim Namen. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Wagniskapitalgeber. Diese Investoren haben viel Macht im Silicon Valley, denn sie sind für die dortige Gründerszene eine unverzichtbare Geldquelle.
Die gegenwärtige Lawine wurde von einem Bericht im Branchendienst „The Information“ losgetreten. Darin reklamierten mehrere Frauen, Justin Caldbeck habe sie sexuell belästigt, als sie mit ihm über ein finanzielles Engagement seiner Wagniskapitalgesellschaft Binary Capital in ihren Unternehmen gesprochen hätten. Eine Gründerin beschuldigte Caldbeck, sie in einer Bar unter dem Tisch am Oberschenkel angefasst zu haben, eine andere sagte, sie habe von ihm spät nachts anzügliche Handy-Mitteilungen bekommen.
Anmachen oder einstellen?
Auf diese Geschichte folgte die „New York Times“ mit einem Bericht, in dem weitere Investoren an den Pranger gestellt wurden. Eine Frau erzählte, Dave McClure habe ihr in einer Zeit, in der sie mit ihm über eine mögliche Anstellung in seinem Unternehmen „500 Startups“ gesprochen habe, in einer Nachricht auf Facebook geschrieben: „Es hat mich verwirrt, herauszufinden, ob ich Dich einstellen oder anmachen soll.“
Eine andere Frau berichtete, Chris Sacca habe sie auf einer Konferenz in Las Vegas auf unangenehme Weise im Gesicht angefasst. Sacca ist in der Technologieszene eine prominente Figur. Er hat für Google gearbeitet, den Start-Up-Finanzierer Lowercase Capital gegründet und war in der Jury von „Shark Tank“, der amerikanischen Version der Investorenshow „Die Höhle der Löwen“. Dass er nun selbst wegen seines Verhaltens gegenüber Frauen ins Zwielicht gerät, hat eine gewisse Ironie. Denn Lowercase Capital gehörte zur Gruppe der Investoren, die den Uber-Chef zum Rücktritt gedrängt haben.
„Ich bin ein Widerling. Es tut mir leid.“
Die von den Berichten ins Rampenlicht gezerrten Investoren reagierten mit wortreichen Mea Culpas. Justin Caldbeck sagte, es tue ihm „so, so leid“ und er wolle sich psychologische Beratung suchen. Chris Sacca wies zwar die konkreten Anschuldigungen gegen ihn zurück, gab aber zu, er habe zu der „unerbittlichen, tagtäglichen Kultur der Geringschätzung“ beigetragen, die es Frauen in seiner Branche so schwer mache.
Dave McClure schrieb in einem Blogeintrag: „Ich habe vielfach Annährungsversuche gegenüber Frauen in arbeitsbezogenen Situationen gemacht, in denen es klar unangemessen war.“ Er wolle nun ebenfalls mit professioneller Hilfe an seinem „beschissenen Verhalten und schlechten Urteilsvermögen“ arbeiten. Sein Blogeintrag hatte die Überschrift: „Ich bin ein Widerling. Es tut mir leid.“ Er hat seine Wagniskapitalgesellschaft mittlerweile verlassen.
Nicht nur „unangemessen“
Die Investoren ernteten einigen Beifall für ihre Entschuldigungen und wurden für offenherzige Selbstkritik gelobt. Aber bei weitem nicht jeder war beeindruckt. Cheryl Yeoh, die früher beruflich mit McClure zu tun hatte, warf ihm vor, sein Verhalten zu verharmlosen, wenn er es „unangemessen“ nenne. Sie schilderte ein persönliches Erlebnis mit ihm und nannte es „sexuellen Übergriff“.
McClure sei zusammen mit einer Gruppe von Kollegen eines Abends bei ihr in der Wohnung zu einem beruflichen „Brainstorming“ gewesen. Als alle anderen Kollegen gegangen seien, sei er geblieben und habe gesagt, er wolle mit ihr schlafen. Sie habe ihn zurückgewiesen und zum Verlassen der Wohnung aufgefordert. Auf dem Weg zur Tür habe er sie in eine Ecke gedrängt und versucht, sie zu küssen. Es sei ihr schließlich gelungen, ihn wegzustoßen und die Tür hinter ihm zuzumachen.
Für die Investoren im Silicon Valley ist es womöglich noch etwas leichter als in den dort ansässigen Technologieunternehmen, sich fragwürdiges Verhalten gegenüber Frauen zu erlauben. Die Wagniskapitalgesellschaften sind oft nicht allzu groß und haben keine stark besetzte Personalabteilung, um etwaige Fehltritte aufzudecken und zu sanktionieren. Sie stehen üblicherweise nicht annähernd so sehr in der Öffentlichkeit wie die von ihnen geförderten Start-Ups, und sie sind im Wesentlichen nur ihren eigenen Investoren Rechenschaft schuldig.
Es ist indessen nicht das erste Mal, dass die Geldgeber aus dem Silicon Valley wegen ihres Umgangs mit Frauen ins Zwielicht geraten. Vor gut zwei Jahren hielt ein Prozess um die renommierte Wagniskapitalgesellschaft Kleiner Perkins Caufield & Byers die Branche in Atem. Deren frühere Mitarbeiterin Ellen Pao hatte sie mit dem Vorwurf verklagt, hier wegen ihres Geschlechts systematisch gegenüber Männern benachteiligt worden zu sein.
Sie verlor den Prozess zwar, warf aber mit ihren öffentlichkeitswirksamen Anschuldigungen ein schlechtes Licht auf ihren ehemaligen Arbeitgeber und stieß eine Debatte über Diskriminierung von Frauen an. Investor Chris Sacca nahm jetzt im Zusammenhang mit der Entschuldigung für sein eigenes Verhalten sogar Bezug auf diesen Fall. Er sagte, genauso wie viele andere im Silicon Valley wäre er damals der Auffassung gewesen, Ellen Pao habe ihren Arbeitgeber zurecht verklagt. Aber aus Angst, sich den Zorn einer der mächtigsten Wagniskapitalgesellschaften zuzuziehen, habe er das damals nicht gesagt.