Nach Terroranschlägen : In China wächst die Angst vor Reisen nach Europa
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Eine gestern vorgestellte Studie über Auslandsreisen chinesischer Touristen liefert einen Hinweis darauf, dass diese Europa tatsächlich künftig stärker meiden könnten: ganz oben auf der Liste der Erwägungen, nach denen Chinesen ihr Reiseziel auswählen, steht demnach die Sicherheit. Zu diesem Ergebnis kommt der „Chinese International Travel Monitor 2016“ der Buchungswebseite Hotel.com. Ob sie im Reiseland damit rechnen müssen, Opfer von Diebstahl, Raub oder eben Terrorattacken zu werden, ist demnach für fast jeden fünften chinesischen Auslandsreisenden wichtig (18 Prozent). Der Reiz historischer Stätten (14 Prozent) und der nationalen Küche (8 Prozent) folgen erst mit gehörigem Abstand. Das Preisniveau des Reiseziels spielt demnach überhaupt nur eine untergeordnete Rolle.
„Als jemand, der jeden Tag die Nachrichten verfolgt, habe ich lange davor gewarnt: Fahrt nicht nach Europa in Urlaub!“, schreibt Nutzer „2199“ auf Weibo. Ein anderer mit den Namen „Hybrid Daniel“ äußert sich zu der tödlichen Amokfahrt des Lastwagens in Südfrankreich: „Nizza war für mich bisher eines der besten Reiseziele weltweit. Jetzt hat die Terrorattacke meine Urlaubspläne durcheinander geschmissen.“ Allerdings wolle er sich nicht gänzlich von Europa als Urlaubsziel verabschieden – und entweder ins italienische Verona oder in einen Ferienpark in Holland ausweichen.
Bisher galt Europa in China als Traumziel: denken die Chinesen an den Kontinent, erscheinen vor ihrem inneren Auge Bilder von romantischen Schlössern und Burgen in England, Deutschland und Frankreich. Europa steht im von Umweltzerstörung geplagten China für wunderschöne Landschaft und Natur. Außerdem gilt Europa als Einkaufsmöglichkeit für Luxusmarkenprodukte: kein Europa-Reisender aus dem Reich der Mitte, der beim obligatorischen Paris-Besuch nicht das Warenhaus Galeries Lafayette besucht. Wer sich zudem einen London-Aufenthalt leistet, schaut mit hundertprozentiger Sicherheit beim Luxuskaufhaus Harrods vorbei.
Angesichts der vielen Nachrichten von Terroranschlägen in Paris, Brüssel, Nizza, Deutschland; vor dem Hintergrund der Bilder von Panzern in den Straßen Istanbuls, gilt Europa selbst kosmopolitischen jungen Chinesen, von denen viele in England oder Frankreich selbst studiert haben, plötzlich als gefährlicher Ort, in dem allerorten Chaos herrscht. Beginnend mit der griechischen Schuldenkrise denken viele Beobachter im Reich der Mitte von Europa als einem gescheiterten Projekt.
Im vergangenen Jahr organisierte die Friedrich-Ebert-Stiftung in Schanghai eine Diskussionsrunde mit Wissenschaftlern aus China und Deutschland, die über die Frage nachdenken sollten, was die Chinesen von den Europäern und speziell den Deutschen hinsichtlich der Entspannungspolitik nach dem zweiten Weltkrieg lernen könnten, um das schwierige Verhältnis zwischen China und Japan zu befrieden. Die beiden Staaten liegen seit der japanischen Invasion bis heute im Clinch. Doch die erste Frage aus dem chinesischen Teilnehmerkreis an die deutschen Politologen galt nicht Japan, sondern der Heimat der Gäste: wann Europa denn nun endgültig scheitern werde.