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Ärztekammer gegen SPD : „Angriff auf ethische Prinzipien“

  • -Aktualisiert am

Englische Verhältnisse? Die Ärztekammer fürchtet zu viel Einfluss von Kosten-Nutzen-Abwägungen für Therapien. Bild: dapd

Der Ärztepräsident Montgomery ist selbst SPD-Mitglied - positioniert sich aber gegen deren Gesundheitspolitik. Das Wahlprogramm der Sozialdemokraten sei ein „Angriff auf die ethischen Prinzipien der deutschen Ärzteschaft“.

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          Die Bundesärztekammer positioniert sich im beginnenden Wahlkampf gegen das linke Lager aus SPD, Grünen und Linken. Alle von ihnen vertretenen Modelle einer Bürgerversicherung seien „ein Irrweg“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, am Mittwoch in Berlin. Massiv ging er die SPD an. Ihr Wahlprogramm sei ein „Angriff auf die ethischen Prinzipien der deutschen Ärzteschaft“. Die SPD verwahrte sich dagegen, dass Montgomery ihr Programm „verhetze“.

          Andreas Mihm
          Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

          Montgomery, der selbst SPD-Mitglied ist, bezog sich mit seiner harschen Kritik auf einen Passus in dem am Sonntag verabschiedeten Wahlprogramm der Sozialdemokraten, nach dem künftig mehr als bisher der Nutzen einer Behandlung geprüft werden soll. Er leitete daraus ab, dass damit künftig in Deutschland englische Verhältnisse drohen könnten.

          In Großbritannien werden Therapien von mehr als 30.000 Pfund (umgerechnet knapp 35.000 Euro) nur finanziert, wenn sie eine Lebensverlängerung von mindestens einem Jahr erwarten lassen. Gerade aufwendige Therapien von Schwerkranken oder am Ende des Lebens könnten in Deutschland gefährdet werden. „Das wollen wir nicht zulassen“, sagte er.

          SPD will Nutzengedanken stärken

          Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, sagte dieser Zeitung, Montgomery habe die Aussagen „beim schnellen Lesen wohl missverstanden“. Seiner Partei gehe es bei der Nutzenbewertung um die Perspektive des Patienten, nicht um den Nutzen für die Gesellschaft. Es komme allein auf den Nutzen einer Behandlung für den Patienten an. Er bat den Ärztepräsidenten, „das Programm nicht misszuverstehen und nicht zu verhetzen“.

          In ihrem Wahlprogramm zitiert die SPD aus der geltenden Rechtslage, wonach die Krankenversicherung nur zahlen solle, was für die Gesundheitsversorgung notwendig, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der ethischen Verantwortung eines sozialen Gesundheitssystems folgend, könne „nur das Anwendung finden, was den Menschen nützt“, heißt es dann weiter. Sie will deshalb den Nutzengedanken in der Versorgung mit Arzneimitteln, Diagnosen, Therapien und Medizinprodukten stärken. Sie will die Kontrollen etwa bei Medizinprodukten ausweiten und Patienten vor einem Missbrauch von Leistungen schützen, die Ärzte anbieten, die Kassen aber nicht bezahlen. Es gehe um „echten medizinischen Fortschritt statt Scheininnovationen“.

          Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery
          Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery : Bild: dpa

          Montgomery stellte auch ein Konzept der Ärzteschaft zur Weiterentwicklung der Finanzierung des Gesundheitssystems vor, das auf dem Ärztetag Ende Mai in Hannover beraten werden soll. Wie Union und FDP sprechen sich die Ärzte darin für die Beibehaltung des dualen Systems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung aus. Die Zusammenführung in einer Bürgerversicherung, für die SPD, Grüne und Linke votieren, sichere die Finanzierung nicht auf Dauer und gefährde Arbeitsplätze. Die Bürgerversicherung sei „ein Turbolader für die Zwei-Klassen-Medizin“. Viele Neuerungen würden zunächst von der Privatversicherung finanziert und kämen nur deshalb später auch Kassenpatienten zugute.

          Das Konzept der Ärzte will dagegen die Finanzverantwortung und Eigenbeteiligung der Krankenversicherten ausweiten. Montgomery widersprach der Annahme, es gehe dabei darum, mehr Geld für die Ärzteschaft zu organisieren. Während der Beitrag der Arbeitgeber zur Finanzierung auf dem aktuellen Niveau von 7,3 Prozent eingefroren bliebe, müssten die Versicherten Beitragssatzsteigerungen alleine tragen. Überforderungen sollen durch eine Belastungsgrenze vermieden werden, ab deren Erreichen es einen Steuerzuschuss gibt.

          Der Einheitsbeitrag für die Krankenversicherung solle wieder abgeschafft werden, die Kassen sollten zugleich wieder das Recht erhalten, ihren Beitragssatz im Wettbewerb selbst festzulegen. Aus Steuergeldern soll zudem künftig ein „Gesundheitskonto“ für jedes Kind bis zum Alter von 18 Jahren monatlich mit 100 Euro gefüllt werden. Das wären am Ende 9 Milliarden Euro im Jahr. Montgomery sieht darin den Auftakt für die Bildung von Rücklagen auch in der gesetzlichen Krankenversicherung.

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