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Abfall in Deutschland : Wir machen mehr Müll

In Deutschland wachsen die Müllberge. Bild: dpa

In Europa entsteht vielerorts immer weniger Müll – nur nicht hierzulande. Das liegt nicht nur daran, dass es uns einfach gut geht, oder an den frischen Beeren im Supermarkt.

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          Beim Online-Shopping gibt es einen wichtigen Engpass: das Fassungsvermögen der Mülltonnen. An Verpackungsmaterial wird nicht gespart, egal aus welchem Internet-Kaufhaus das Paket kommt. Jede Menge Papier, Pappe und Kunststofffolie sind obligatorisch, etwas empfindlichere Ware packen Amazon und Co. natürlich auch noch höchst sorgfältig und reichlich in Styropor-Materialien ein.

          Helmut Bünder
          Wirtschaftskorrespondent in Düsseldorf.

          So gesehen, versprechen die Zahlen, die der Handelsverband Deutschland (HDE) an diesem Mittwoch vorgelegt hat, nichts Gutes für die Müllbilanz: Um weitere zehn Prozent soll der E-Commerce in diesem Jahr wachsen, auf dann mehr als 50 Milliarden Euro. Die Behälter für den Papiermüll und die gelben Tonnen werden noch mehr zu schlucken bekommen.

          Dabei ist Deutschland jetzt schon Vize-Europameister beim Hausmüll. Jeder Verbraucher hierzulande produziert im Durchschnitt 626 Kilogramm Abfall. Noch mehr ist es nur in Dänemark, wo im Jahr 2016 pro Einwohner 777 Kilogramm in Rest- und Biomüll, Glascontainern, im Altpapier oder in einer Wertstofftonne landeten.

          Nun kann sich Deutschland zwar damit trösten, dass nirgendwo anders in der Welt so viel Müll ins Recycling geht. Aber erstens gibt es in der Wiederverwertungsstatistik, die stolze 66 Prozent ausweist, manche Merkwürdigkeit, die das Bild sehr viel schöner zeichnet, als es wirklich ist. Als Erfolgsmeldung tauchen da schon jene Mengen auf, die nur für eine Wiederverwertung gesammelt oder vorsortiert worden sind. Ob sie anschließend im Müllofen oder tatsächlich in der Recyclinganlage landen, ist für die Statistik bisher egal.

          Vor allem aber stellt sich die Frage, warum der Müllberg in Deutschland steigt, während er anderswo kleiner wird. Müllvermeidung ist schließlich das oberste Gebot, erst danach kommen das Recycling und als letztes Mittel die Entsorgung. „Abfallhierarchie“ heißt das im Kreislaufwirtschaftsgesetz, dem deutschen Grundgesetz für den richtigen Umgang mit den Hinterlassenschaften des Konsums.

          Die Experten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln haben für die Jahre 2005 bis 2016 nachgerechnet: In Deutschland ist die Menge an sogenanntem Siedlungsabfall in dieser Zeit um knapp 11 Prozent gestiegen, während sie im Durchschnitt der Europäischen Union um 4 Prozent rückläufig war. Ein Grund ist offensichtlich: Mehr Haushaltsmüll ist ein Wohlstands-Indikator. „ Wenn die Wirtschaft brummt, brummt der Konsum, und wenn wir mehr konsumieren, erzeugen wir mehr Abfall“, sagt IW-Expertin Adriana Neligan. Kein Wunder also, dass Rumänien als wirtschaftliches Schlusslicht der EU das geringste Müllaufkommen hatte.

          Frische Beeren und vorsortierte Salate

          Zugespitzt könnte man auch sagen: Weil Deutschland im vergangenen Jahrzehnt Europameister im Wirtschaftswachstum war, stand es auch beim Müllwachstum auf dem oberen Treppchen. Im sinkenden Müllaufkommen anderer Länder spiegeln sich gewissermaßen noch die schweren Zeiten der Wirtschaftskrise. Einerseits.

          Andererseits hat sich die Wirtschaft überall erholt und ist auch im EU-Durchschnitt beachtlich gewachsen, um 28 Prozent, und trotzdem ging der Müllberg zurück. In Deutschland waren es in dieser Zeit 32 Prozent – und das Abfallaufkommen ist um 11 Prozent gestiegen. Zumindest habe die Abfallintensität des Wirtschaftswachstums abgenommen, sagt Neligan: Bezogen auf einen Euro Sozialprodukt fällt weniger Müll an als noch vor zehn Jahren.

          Ablasshandel der besonderen Art

          Die Zahlen lassen ebenfalls vermuten,  dass anderswo größere Anstrengungen zur Müllvermeidung unternommen wurden. Da gab es in einer Reihe von EU-Staaten aber vielleicht auch größeren Nachholbedarf, zum Beispiel beim unbeschwerten Umgang mit den inzwischen fast überall kostenpflichtigen Plastiktüten an der Ladenkasse. Allein mit dem Wohlstandsniveau lassen sich die unterschiedlich hohen Müllberge in der EU gewiss nicht erklären.

          Warum zum Beispiel produzieren unsere niederländischen Nachbarn 100 Kilogramm und die Belgier sogar  200 Kilogramm Haushaltsabfall je Einwohner weniger als der Durchschnittsdeutsche?  Hier kommen Konsum- und Einkaufsgewohnheiten ins Spiel, die das Aufkommen an Verpackungsmüll in die Höhe treiben. Zum Beispiel eben das in Deutschland überaus schnell wachsende Online-Shopping.

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          Genauso wichtig sind freilich demographische Faktoren. Immer mehr Menschen leben als Single oder in einem Zweipersonen-Haushalt. Es werden mehr kleinere Portionen eingekauft, folglich werden mehr Verpackungen benötigt. Und die Supermärkte, auch jene, die öffentlichkeitswirksam die Plastiktüte verbannen, haben immer mehr verpackte Convenience-Ware in den Regalen: frische Beeren in der Plastikschale, vorsortierte Salate in der Folie oder gleich verzehrfertig für die Mittagspause mit Sauce und Croutons in der aufwendigen Kunststoffverpackung.

          Auch die Vorliebe für den To-Go-Kaffee hinterlässt überquellende Abfalleimer. Vielleicht trägt zu diesem bedenkenlosen Verhalten ausgerechnet die deutsche Vorreiterrolle im Recycling bei. Nach dem Motto: Wer fleißig seinen Abfall sortiert, kann auch ruhig mehr davon produzieren. Es wäre ein Ablasshandel der besonderen Sorte.

          Brauchen wir vielleicht eine Müll- oder Plastiksteuer, um gegenzusteuern? IW-Fachfrau Neligan hält nichts davon: „Noch mehr Regulierung führt uns nicht weiter. Das ist schon sehr viel geschehen, zuletzt mit dem neuen Verpackungsgesetz und den aktuellen Vorstößen auf EU-Ebene“, sagt sie. Einen wichtigen Schritt sieht sie in den Vorgaben für das Ökodesign von Verpackungen. „Das spart von vorneherein Material  und erleichtert das spätere Recycling“. Auf jeden Fall habe es keinen Sinn, beispielsweise Kunststoffverpackungen zu verteufeln. Denn: „Ohne geht es nicht“.

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