Slàinte im Leuchtturm
Von MARCO DETTWEILER25. April 2022 · Die Schotten wissen, wie man guten Whisky macht. Doch der Wissensdurst der Destillerien ist längst nicht gestillt. Bei Glenmorangie forscht ein Team deshalb nach dem Whisky der Zukunft.
Wie alle Leuchttürme steht auch das Lighthouse von Glenmorangie am Meer. Das zwanzig Meter hohe, gerade mal ein Jahr alte Gebäude dient jedoch nicht zur Orientierung für Schiffskapitäne, sondern als Forschungslabor für Whiskyherstellung. Um sich dem modernen Kubus im gläsernen Gewand auf dem Gelände der Destillerie zu nähern, gehen Besucher erst einmal an den für Schottland typischen, alten, braunen, Felssteinhäusern entlang, in denen Glenmorangie seit fast 180 Jahren Whisky herstellt. Hinter diesen dicken Mauern wird rund um die Uhr das ganze Jahr über gearbeitet. Die Whiskymacher wechseln sich in Schichten ab. 6,4 Millionen Liter produzieren sie jährlich, Glenmorangie gehört zu den meistverkauften Whiskys der Welt. Erklärtes Ziel der Schotten ist es, sich trotzdem nicht auf dem Erfolg auszuruhen. Sie wollen den Prozess weiterentwickeln, ihn perfektionieren und ihren Whisky vielfältiger machen.
Das liegt vor allem in den Händen von Bill Lumsden. Er leitet seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Brennerei. Der mehrmals ausgezeichnete „Distiller Of The Year“ ist der kreative Kopf. Und der Luxusgüterkonzern Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH) ist der Eigentümer, der Glenmorangie, eine von mehreren Destillerien des Unternehmens, den finanziellen Spielraum bietet, um Projekte wie das Lighthouse verwirklichen zu können.
Im neuen Lighthouse können sich Lumsden und sein Team austoben, ohne den Ablauf der Whiskyherstellung im Haupthaus zu stören. In dieser Minidestillerie werden Experimente durchgeführt, deren Erkenntnisse irgendwann in die Produktion einfließen sollen. Dafür haben die Whiskyforscher nicht einfach eine Destillerie in klein nachgebaut, sondern technische Neuheiten eingeführt, die es bisher so nicht gab. Das beginnt schon mit der Wahl des Getreides. Im Lighthouse experimentiert Glenmorangie mit Sorten wie Roggen oder Weizen, aber auch mit Reis und Quinoa. In diesem Fall werden es Experimente bleiben, denn jeder schottische Whisky, der in den Handel geht und sich Single Malt nennen will, muss aus Gerstenmalz hergestellt sein. Den lassen sich Destillerien seit den Sechziger- und Siebzigerjahren von Mälzereien aus Gerste herstellen, die sie entweder selbst anbauen oder dort einkaufen.
Das war in früheren Zeiten anders. Damals haben das die Destillerien selbst gemacht. Sie weichten die Gerste zuerst zwei Tage ein, um sie im Anschluss zweieinhalbmal so lang keimen zu lassen. Um den Prozess des Grünmalzes dann zu stoppen, trockneten die Whiskymacher das Malz einen Tag lang mit warmer Luft über einem Ofen, beginnend bei 55 Grad Celsius bis bis zu 77 Grad. Dem Feuer im Ofen wurde in manchen Gegenden Torf beigegeben, was dem Whisky einen rauchigen Geschmack verleiht. Der Prozess funktioniert in den Mälzereien letztlich noch immer nach diesem Prinzip. Der Geschmack des Whiskys wird schon hier geprägt. Die Qualität des Getreides ist dafür ebenso wichtig wie die Dauer und Temperatur des Trockenvorgangs. So lässt Glenmorangie etwa für seine Sorte The Signet die Gerste etwas länger „rösten“, sodass dieser Whisky Aromen von Schokolade bekommt.
Erst durch das Mälzen der Gerste werden die Voraussetzungen geschaffen, damit aus dem Getreide Zucker und später Alkohol gewonnen werden kann. Durch das Einweichen steigt der Feuchtigkeitsgehalt der Körner auf bis zu 45 Prozent, sie beginnen zu keimen und setzen Enzyme frei. Diese machen sich an die Zellwände, brechen sie auf und zerstören sie, was die darin enthaltenen Stärkepakete freilegt. Später übernehmen die Enzyme noch einen anderen Job: Sie wandeln die Stärke in Zucker um. Bevor dies geschehen kann, muss das von der Mälzerei gelieferte Gerstenmalz aber erst einmal in einer Mühle geschrotet werden. Dieser Vorgang findet in der Destillerie statt. Die großen Mühlen von Glenmorangie verarbeiten wöchentlich 374 Tonnen Gerstenmalz zu Schrot.
Das Schrot landet dann im riesigen Maischekessel, wo es zusammen mit Quellwasser fortwährend gerührt wird. Auf ein Kilogramm Gerstenmalz kommen etwa vier Liter Wasser. Ziel ist es, ein zuckerhaltiges Extrakt zu gewinnen. Dafür müssen die durch das Mälzen aktivierten Enzyme das Stärkepaket in verschiedene Zucker umwandeln, die sich im Wasser lösen. Dafür wird das Schrot dreimal mit heißem Wasser im Maischebottich durchmischt, die Flüssigkeit abgelassen und aufgefangen. Los geht es mit 65 Grad Celsius, dann folgen 78 Grad und schließlich 89 Grad. Die ersten beiden Extrakte landen nebenan in den Gärungsbottichen, den sogenannten Washbacks. Das dritte Extrakt hat allerdings zu wenig Zucker und kehrt zurück in den Maischekessel für die nächste Füllung. Im Lighthouse von Glenmorangie versucht man auch an diesem Punkt, an dem Prozess zu schrauben. Die Würze, so nennt man die Flüssigkeit, kann durch den speziellen Aufbau des Maischebottichs unterschiedlich trüb gewonnen werden, also mehr oder weniger viele mikroskopisch kleine Partikel enthalten. Der Grad der Klarheit hat später Auswirkungen auf die Destillation und unmittelbar auf den nächsten Prozess, der ansteht: die Gärung oder Fermentation.
Diese ist jenem beim Bierbrauen ziemlich gleich und beim Weinausbau ähnlich. Die Würze aus dem Maischekessel muss in den Washbacks gären, damit sich Alkohol bildet. Für die Umwandlung des Zuckers in Alkohol braucht es Hefe, die der Whiskymacher in jeden Gärungsbottich gibt, bei Glenmorangie sind es zwölf. Auch wenn die aus dem Maischebottich entnommene Flüssigkeit am Anfang der Hefezugabe in den Washbacks Zimmertemperatur hat, erwärmt sie sich recht schnell und blubbert vor sich hin, weil bei der Umwandlung von Zucker (Glukose) in Alkohol (Ethanol) nicht nur Wärme, sondern auch Kohlendioxid entsteht. So langsam erinnert die Flüssigkeit an Whisky, jedenfalls beginnt es nach Aromen zu riechen, die man später im Glas wiederfindet. Nach etwa 50 Stunden, wenn die Hefe ihre Arbeit getan hat, enthält die Flüssigkeit zirka acht Prozent Alkohol. Sie wird zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Bier genannt. Normalerweise wird während der Herstellung des Bieres nur darauf geachtet, den entstehenden Schaum immer wieder unterzurühren, was die Washbacks automatisch übernehmen. Doch im Lighthouse experimentiert Bill Lumsden zum Beispiel mit verschiedenen Hefen, die den Geschmack des Whiskys beeinflussen. Zudem lässt sich dort die Temperatur in den Washbacks steuern. Fällt sie, dauert die Fermentation länger, steigt sie, ist der Gärungsprozess schneller abgeschlossen.
Vermutlich ist es erst der nächste Schritt, der vielen Whiskytrinkern bekannt sein dürfte und symbolisch für diese und andere Spirituosen steht. Nach der abgeschlossenen Gärung wird das Bier in die Brennerei geleitet, wo die ikonischen Brennblasen, Pot Stills genannt, stehen und aus der trüben Flüssigkeit mit wenig Prozenten Alkohol ein hochprozentiges klares Destillat machen. Das Prinzip der Destillation nutzt die unterschiedlichen chemischen Eigenschaften von Wasser und Alkohol. Werden beide Flüssigkeiten erhitzt, macht sich der Alkohol als Erster davon, weil er schneller verdampft als Wasser. Also füllt man zunächst das Bier in den Kessel, wo es die Heizspiralen sodann erhitzen. Der Alkohol steigt auf und nimmt erwünschte Aromastoffe mit auf den Weg nach oben.
Nun gilt es, Alkohol und Aroma aufzufangen, sodass sie nicht wieder im Bier landen. Deswegen hat eine Brennblase einen Schwanenhals, im Fachjargon den Lyne-Arm, dessen Rohr zunächst steil nach oben geht und in einem Winkel von mehr als neunzig Grad zur Seite abzweigt. Am Hals sitzt wiederum ein breiteres Rohr, das senkrecht nach unten geht. In diesem Kondensator befinden sich ringförmige Leitungen, Stäbe oder Kugeln, damit der Dampf mit dem Alkohol und den Aromastoffen möglichst viel Kontakt zum Metall hat, dadurch besser kondensiert und in flüssiger Form wieder nach unten läuft. Nahezu der gesamte Destillierapparat ist aus Kupfer, weil das Metall ein guter Wärmeleiter ist. Zudem hat Kupfer die Eigenschaft, mit Schwefel zu reagieren. Somit bleiben die im Dampf enthaltenen Schwefelverbindungen an den Wänden der Pot Stills hängen und werden zu Kupfersulfiden. Im Lighthouse will Glenmorangie aber auch untersuchen, wie sich der Alkohol verhält, wenn er sich in einem Kondensator aus Edelstahl verflüssigt. Deshalb ist nur einer der beiden Kühler aus Kupfer.
Nach der ersten Destillation hat die Flüssigkeit einen Alkoholgehalt von zirka 24 Prozent. Dieser „Grundwein“ geht noch einmal den gleichen Weg, allerdings eine Reihe weiter in den Spirit Stills. Die größeren Brennblasen des ersten Destillationsvorgangs nennt man Wash Stills. Erst jetzt wird das Destillat geschaffen, das in den Fässern landen wird. Aber der Flüssigkeit, die kondensiert aus dem Kühler der Spirit Stills läuft und nun einen Alkoholgehalt zwischen 60 und 70 Prozent hat, wird nicht alles genommen. Der Brennmeister unterscheidet in Vor-, Mittel- und Nachlauf. Lediglich der Mittellauf ist erwünscht, denn der erste Teil enthält zu viel flüchtige Bestandteile wie Methanol und der letzte Lauf unter anderem Fuselöle. Vor- und Nachlauf kommen wieder zurück in den Grundwein und durchlaufen abermals den Prozess.
Die Destillerie Glenmorangie ist bekannt für ihre in Schottland höchsten Brennblasen mit über fünf Meter hohem Hals. Im Lighthouse stehen zwei Pot Stills, deren Höhe variieren kann. Dabei wird nicht der Hals physisch hoch- oder runtergefahren. Die unterschiedliche Höhe wird durch eine clevere Konstruktion simuliert. Weil das Kupfer des Halses doppelwandig verarbeitet ist, kann Wasser zwischen den Wänden durchlaufen und sie mehr oder weniger stark kühlen. Je höher die Brennblase, desto milder und leichter wird der Whisky, weil nur noch die leichtesten Bestandteile des Biers den Weg nach oben schaffen. Kurze Hälse bewirken das Gegenteil: Auch einige schwere Substanzen gelangen ins Destillat.
Zu diesem Zeitpunkt hat das Destillat immer noch nicht den Zustand erreicht, bei dem ein unbedarfter Verkoster von Whisky sprechen würde. Lediglich vierzig Prozent an Aroma, Geschmack und Textur sind vorhanden, außerdem sieht die Spirituose aus wie Wodka oder Korn, sie ist klar. Deshalb muss ein Scotch Single Malt Whisky mindestens drei Jahre ins Fass, bevor er auf die Flasche gezogen werden darf.
Im Fass bekommt er Farbe, Textur, Charakter und weitere Aromen. In der Regel reift schottischer Whisky in gebrauchten Eichenfässern aus Amerika, in denen bereits ein Bourbon-Whisky zwei bis vier Jahre seine Zeit verbracht hat. Glenmorangie benutzt sie dann nur zweimal, für die Erst- und Zweitbefüllung. Bill Lumsden hatte früh mit anderen Holzfässern experimentiert. So gibt es von Glenmorangie verschiedene Finishes wie Sherry, Portwein oder Sauternes.
Jede der mehr als hundert Destillerien in Schottland hat ihre eigene Interpretation, wie Whisky zu schmecken hat. Wer mal einen von der Insel Islay gekostet hat, wird schnell merken, wie unterschiedlich die Vorstellungen sein können. Dabei entsteht ein Single Malt aus Schottland letztlich immer nur aus Gerstenmalz und Wasser.
Quelle: F.A.S.
Veröffentlicht: 25.04.2022 11:35 Uhr
