Meister der Industriekletterer : Einfach mal abhängen
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Wenn in zehn Metern Höhe alles hin und her schaukelt, ist es gar nicht so leicht, den Puck im Loch zu versenken. Bild: Petzl
Am Seil in großer Höhe zu arbeiten, ist was für Spezialisten. In Duisburg treffen sich Industriekletterer zum Kräftemessen. Dann geht es neben Präzision auch um Geschwindigkeit.
Manchen Leuten kann man einfach nicht das Wasser reichen. Ursachen gibt es viele, zum Beispiel, dass ihr Eimer schon randvoll ist und sie in schwindelnder Höhe an einem Seil hängen. Statt ihnen nachzusteigen, ist es in diesem Fall besser, zu warten, bis sie nach knapp einer halben Stunde wieder unten sind. Dann wird nachgemessen, welche Verluste im Parcours rund um den alten Hochofen im Landschaftspark Duisburg zu beklagen sind – durch Anstoßen oder Überschwappen und eher nicht, weil die Kombattanten in voller Montur an diesem heißen Frühsommertag unterwegs Durst bekommen hätten. Der beste hat von zwölf Litern unglaubliche 11,86 zurückgebracht, da ist das Sektglas voll wohl unterwegs verdunstet.
Und das auch noch in der vorgegebenen Zeit. Denn wenn sich die Industriekletterer zur inoffiziellen Weltmeisterschaft treffen, die der französische Ausrüster Petzl seit 2012 alle zwei Jahre an unterschiedlichen Orten auslobt, ist neben Präzision auch Geschwindigkeit ein Kriterium. Sie spielt im Arbeitsleben nicht die entscheidende Rolle, zeigt aber doch die feinen Unterschiede auf. Seilzugangstechnik ist Teamarbeit, also werden in 40 Dreierteams vier Disziplinen bewältigt, anmelden wollten sich doppelt so viele.
Neben den Wasserspielen, die sich in ähnlicher Form gern wiederholen, weil sich das Ergebnis so schön messen lässt, ist das in der ersten Veranstaltung auf deutschem Boden das Krokodil – ein riesiger Kran, an dem die Teilnehmer aus aller Welt entlanghangeln. Mann gegen Mann oder auch gegen die Frau, neben ein paar gemischten gibt es ein Damenteam. Allesamt kernige Typen, die das völlige Fehlen von Höhenangst und die Lust am Seiltanz vereint. Die weiteren zwei Stationen sind die Kohlenmine, hier muss in zentimetergenauer Zusammenarbeit ein frei im Raum schwebendes Gefäß mit Schüttgut über einem Trichter entleert werden, und – originell sowie als einzige Veranstaltung in der Halle – zwei unter der Decke hängende Billardplatten, jeder muss fünf Pucks versenken.
Das Ergebnis sehen die Teilnehmer locker. Entscheidend sei nicht der Wettbewerb, sagt Lucie Eagles von Petzl Deutschland, die selbst am Seil hängend arbeitet. Das dreitägige Treffen am vergangenen Wochenende dient vielmehr dem Austausch, jeder kann von den anderen lernen. Es gibt Symposien und recht spezielle Workshops – wie verändert sich die Last an Flaschenzügen mit Karabinerhaken und Rollen? Und auch der Hersteller profitiert vom Gespräch mit seinen Kunden. Die Vorstellung, da hätten viele ihr alpines Hobby zum Beruf gemacht, korrigiert Eagles. Das gebe es, aber die Leute kämen auf ganz unterschiedlichen Wegen zur Seilzugangstechnik.
Viele sind Handwerker, die eine Zusatzqualifikation suchen und dann unter anderem als Elektriker, Maler oder Schweißer am Seil hängend in luftiger Höhe arbeiten. Gebraucht werden die Industriekletterer überall dort, wo Gerüste, Hebebühnen und Kräne nicht einsetzbar oder zu teuer sind. Das sind mehr Gelegenheiten, als man denken möchte. Zum Beispiel haben sie mit künstlerischem Wert den Reichstag in Berlin verhüllt. Sie reparieren Schornsteine, Kirchtürme und Windkrafträder, montieren Plakate oder überholen Fassaden, bringen Licht und Lautsprecher in Festhallen an und tauschen Leuchtreklame aus. Manche stutzen Bäume, die Baumkletterer haben aber ihren eigenen Wettbewerb.
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Mehr erfahrenDa fragt man sich, wie es früher ohne die Seilkünstler ging. Die Branche ist noch relativ jung, von mehr oder weniger wilden frühen Klettermethoden einmal abgesehen, ist die Standardisierung wohl auf Wunsch der Öl- und Gasindustrie entstanden, als erster Verband wurde die Irata (Industrial Rope Access Trade Association) Anfang der siebziger Jahre in England gegründet. Bis das Industrieklettern in Deutschland geregelt wurde, dauerte es dann noch eine Weile. Die Behörden und die Berufsgenossenschaft mussten erst von den Vorzügen seilunterstützter Zugangs- und Positionierungsverfahren überzeugt werden, erklärt Sven Drangeid, der Geschäftsstellenleiter der deutschen Dachorganisation Fisat (Fach- und Interessenverband für seilunterstützte Arbeitstechniken). In der DDR seien aber schon in den Siebzigern alpine Techniken für die Arbeit an Hochhäusern verwendet worden.