Strandkörbe : Sturmfreie Buden am Meer
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Möblierter Strand auf Sylt Bild: Bilderberg
Angenommen, ein Schiffbrüchiger wird an eine unbekannte Küste gespült, sinkt entkräftet in den Sand und reibt sich die Augen. Was sieht er? "Strandkörbe! Ich muß in Deutschland sein." In der Tat, kein anderes Land hat möblierte Strände.
Angenommen, ein Schiffbrüchiger wird an eine unbekannte Küste gespült, sinkt entkräftet in den Sand und reibt sich die Augen. Was sieht er? "Strandkörbe! Ich muß in Deutschland sein." In der Tat, kein anderes Land hat möblierte Strände. Das Wahrzeichen der deutschen Seebäder sieht aus wie eine fröhliche Kreuzung von Wäschekorb, Kleiderschrank und Lokus. Thomas Mann liebte das "eigentümlich bergende Sitzhäuschen" als Ort der Inspiration. Den meisten Badegästen genügt die Transpiration. Doch gleichgültig, welche Ansprüche an das eigenartige Klappmöbel gestellt werden - es ist ein Stück Handwerkskunst, das sich bis heute gegen automatisierte Fertigung behauptet hat.
Strandkörbe gibt es wie Sand am Meer. Keiner kennt ihre Zahl. Zu Hunderten, ja Tausenden säumen sie die Wasserfront, von Borkum bis Usedom, manchmal ordentlich in Reih und Glied, als gelte es, preußische Ordnung in das Menschengewimmel der Hochsaison zu bringen. Allein an der Ostsee, so wird geschätzt, stehen 70 000 Körbe. Jeder ist eine private Oase mit der Individualität eines Reihenhäuschens. Auch Ausländer von korblosen Küsten, Engländer gar, nehmen ohne Bedenken darin Platz, so daß man von einem gleichsam völkerverbindenden Aussitzen des Urlaubs sprechen kann. "No German beach without Strandkörbe!" verkündet ein Werbeprospekt.
Strandkörbe sind wie die meisten ihrer Insassen nur begrenzt mobil. Der vorherrschende Zweisitzer, dessen Durchschnittsgewicht bei 80 Kilogramm liegt, braucht starke Arme, um mit der Sonne oder gegen sie im Sand herumgezerrt zu werden. Drehbare Körbe auf Kugellagern wurden erfunden, aber nicht in den Sand gesetzt. In Reisekoffer und Boote verwandelbare Körbe blieben eine Schnapsidee. Nein, Innovationsfreude ist nicht die vorzüglichste Eigenschaft der deutschen Strandkorbmacher. In ihren Familien haben sich mehr Generationswechsel vollzogen als in ihren Produkten. Revolutionär war der aus der Materialnot geborene "Rhenaer zerlegbare Strandkorb", ein Plattenbaukasten, der sich im Auto zu allen DDR-Gewässern transportieren ließ.
An den klassischen Strandkorb werden viele geübte Hände angelegt: von Korbmachern, Tischlern, Schlossern, Polsterern, Nähern. Das Untergestell, genannt Bock, ist aus lasiertem Nadelholz. Zwei Seitenteile rechts und links schützen vor unliebsamen Winden und Blicken. Wäre der Schiffbrüchige vom Anfang unserer Geschichte ein Fachmann, er sähe sogar, ob er an der Nordsee oder Ostsee gestrandet wäre. Die Seitenteile sind an der Nordsee rechteckig, an der Ostsee geschwungen. Das vierte Bauteil ist die ausladende Haube, der Oberkorb, mit dem ein Flechter am meisten Arbeit hat, rund drei Stunden. An seinen Schwielen erkennt man den fleißigen Flechter, an der schön geflochtenen Zopfleiste sein Werk. Die Männer mit den harten Fingern verarbeiten in jedem Strandkorb etwa 500 Meter jener Kunststoffbänder, die weiß, grün oder braun sind, wenn sie sich nicht gerade als spanisches Rohr oder Seegras ausgeben. Im Prospekt heißt das: "Kunststoffgeflecht in Naturoptik."