Messebau : Bienzle und die Ballastsäcke
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Über die A8 spannen sich ein Dachgarten und 4000 Parkplätze Bild: Messe Stuttgart
Das Parkhaus der Neuen Messe Stuttgart ist auf bautechnisch ungewöhnliche Weise entstanden. Bei laufendem Verkehr wurden die Bauten Stück für Stück über eine der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands geschoben.
Messegelände gehören zu den weitläufigsten, dabei hässlichsten baulichen Anlagen unserer Städte. Große Traditionsmessen stellen sich als Sammelsurium mehr oder weniger banaler blechverkleideter Industriehallen dar, nur hier und da lässt architektonische Qualität aufmerken. Dann sind es immer die delikaten Konstruktionen engagierter Architekten und Ingenieure, die aus dem Einerlei hervortreten.
Komplett neu geplante Messen im Land, in München auf dem ehemaligen Flughafengelände in Riem oder die Neue Messe Leipzig, können immerhin mit überschaubaren Strukturen aufwarten, die den Besuchern die Orientierung erleichtern. Die gut aufgeräumte, gediegene Architektur hinterlässt jedoch kaum Spuren in der Erinnerung. Allenfalls die zentrale gläserne Halle in Leipzig, deren filigrane Schönheit und Signifikanz mit Raumklima- und Nutzungsproblemen erkauft ist, hat es zum Wahrzeichen geschafft, das der Messe ein wieder erkennbares Gesicht gibt.
Probleme bei Wind- und Schneelasten
Anders die von den Stuttgarter Architekten Wulf & Partner entworfene Neue Messe Stuttgart, deren Eröffnung im Herbst bevorsteht. Schon beim Anflug auf den benachbarten Flughafen Echterdingen prägt sich das Bild von einer Landschaft beschwingter Dächer ein, die den Ort charakterisieren und ihn unverwechselbar machen. Hinzu kommt das eindrucksvolle Parkhaus, das mit zwei riesigen Fingern über die Autobahn greift und für alle Autofahrer zur Landmarke geworden ist. Beide Bauwerke, die zeichenhaften Hallen wie das ungewöhnliche Parkhaus, sind auf besondere bautechnische Weise zustande gekommen.
Die beschwingte Form der Messehallen ergibt sich aus den selten anzutreffenden Hängedächern, konkaven, durchhängenden Dachflächen, die als besonders materialsparend gelten, da der Stahl des Tragwerks viel bereitwilliger Zugkräfte aufnimmt als Druck oder Biegung und dabei mit weit geringeren Querschnitten auskommt. Wenn diese Bauweise dennoch wenig Verbreitung gefunden hat, so deshalb, weil das Hängedach flexibel und bewegungsfreudig ist, was Probleme bei Wind- und Schneelasten, beim Anschluss anderer Bauteile und bei der Montage mit sich bringt.
Durchbiegen wie eine Wäscheleine
Es genügt also nicht, mit dem Kran Pfetten (Querträger) auf Fachwerkträger und Deckplatten auf Pfetten zu hieven und darauf die Dachhaut zu kleben. Die mit der Konstruktion betrauten Ingenieure Mayr + Ludescher mussten zum Beispiel während des Baus für kontrollierte Lastverhältnisse sorgen. Als „Tatort“-Kommissar Bienzle kürzlich einen Mörder durch die Baustelle der Neuen Messe Stuttgart verfolgte, wunderten sich die Fernsehzuschauer über Hunderte von merkwürdigen Säcken, die ihm in einer der halbfertigen Hallen im Weg hingen. Es handelte sich um für die Montage benötigte Bigpack-Säcke mit Ballastfüllung.
Statt von mächtigen Fachwerkträgern werden die 70 Meter breiten Hallen von dünnen Stahlbändern überspannt, die in einer flachen Parabelkurve durchhängen. Die nur 15 Zentimeter hohen H-Profile wurden im Werk vorgekrümmt, ihre präzise Endform erhalten sie durch Biegung unter Last. Das Problem ist nun, dass sich die Hängebänder während der Montage des Dachs unsymmetrisch durchbiegen wie eine Wäscheleine, bei der man an einem Ende mit dem Aufhängen anfängt. Hier kommen nun die Säcke ins Spiel. Mit ihnen wird die endgültige Belastung simuliert - die Bänder kommen in ihre Form. Mit dem Fortschreiten der Dachmontage werden die Säcke Stück für Stück abgehängt - die Bänder behalten ihre Form. Das Ballastmaterial wurde übrigens nicht wieder mühsam abtransportiert, sondern an Ort und Stelle als Unterbau für den Hallenboden einplaniert. Weil das Regenwasser zu den Giebelseiten hin ablaufen soll, sind die mittleren Bänder 50 Zentimeter kürzer und somit flacher gespannt als die stärker durchhängenden Randbänder, wodurch das Dach in Längsrichtung eine Wölbung erhält.
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