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Fracking : Die Angst vor den tiefen Löchern

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So sieht der Frackingvorgang vor Ort aus: hier in Colorado, USA Bild: AP

Lohnt sich Fracking auch in Deutschland? Seit langem schon wird gasführendes Gestein mit den Methoden des Hydraulic Fracturing aufgeschlossen. Neuer, komplizierter und umstritten ist der Einsatz zur Gewinnung von Schiefergas.

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          Das Bohren von Löchern in den Boden unter unseren Füßen ist mittlerweile so umstritten wie das Verlegen von Stromtrassen und das Aufstellen von Windrädern. Das ist kein Zufall, denn unerfreuliche Nebenwirkungen ängstigen die Anwohner und drücken den Immobilienwert. Dazu gehören Erfahrungen, die man im Zuge des mittlerweile eingebremsten Geothermie-Booms gemacht hat. So kämpft man in der Schwarzwaldgemeinde Staufen noch immer gegen das Aufquellen des Bodens, das die Gebäude darüber hebt. Hier hatte man beim Niederbringen von rund 100 Meter tiefen Erdsondenlöchern Anhydrit-Linsen angestochen, so dass Wasser eindringen konnte. Dabei entsteht Gips, es wird Wärme frei, und das Volumen des Kalziumsulfats nimmt um bis zu 60 Prozent zu.

          Auch die Tiefengeothermie hat ihre Tücken. So etwa, als man im Dezember 2006 mit unter Druck stehendem Wasser das Gestein tief unter Basel zu perforieren versuchte, um eine Art Wärmetauscher nach dem Hot-Dry-Rock-Verfahren zu installieren. Dabei entspannte sich das Gestein. Die Erdstöße mit einer Stärke von bis zu 3,5 auf der Richter-Skala haben zwar nur minimale Schäden verursacht, dennoch wurde das Vorhaben eingestellt.

          In Basel wurde die Technik des Hydraulic Fracturing eingesetzt, die es, was die Symbolkraft anlangt, spielend mit der Nukleartechnik aufnehmen kann. Fracking, so die Kurzform, wurde und wird jedoch vor allem zum Aufschließen von Öl- und Gaslagerstätten eingesetzt: Mit Hilfe eines großen Wasserdrucks werden millimeterdünne Risse im Gestein erzeugt. Daher auch der Name des Verfahrens, der sich mit „Rissbildung durch Wasserdruck“ übersetzen lässt. Damit sich die entstandenen Risse nicht wieder schließen, werden sie mit Stützmitteln wie Keramik- oder Bauxitkügelchen gefüllt. Ziel ist, sie dauerhaft offen zu halten, um durchlässige Kanäle zu schaffen, durch die das Öl beziehungsweise Gas zum Bohrloch strömen und gefördert werden kann.

          Bild: F.A.Z.

          Die Technik ist keineswegs neu. Erste, nicht sonderlich erfolgreiche Versuche unternahm man schon 1947 im amerikanischen Bundesstaat Kansas. Zwei Jahre später ließ sich die Halliburton Oil Well Cementing Company das Verfahren patentieren - und das Geschäft begann zu florieren. Bald kam man auf monatlich mehr als 3000 Bohrlochstimulationen, wobei es vor allem darum ging, mäßig ergiebige Ölbohrungen zum Sprudeln zu bringen.

          Auch in Deutschland wird schon seit langem gefrackt. Exxon-Mobil hat 1961 die Technik hierzulande erstmals eingesetzt. Seitdem hat man gut 300 Fracks realisiert, in zum Teil mehr als 5000 Meter Tiefe. Stets ging es darum, konventionellem Erdgas den Weg aus dem Gestein zu weisen. In Deutschland, anders in Nordamerika, wurde bisher diese Technik nicht in unkonventionellen Lagerstätten eingesetzt. In konventionellen Lagerstätten ist das Gas nicht entstanden, es ist dorthin gewandert und gespeichert. Anders beim unkonventionellen Erdgas. Hier befindet sich das Gas in Schichten, in denen es auch entstanden ist.

          Unterschiedlich ist vor allem die Durchlässigkeit der jeweiligen Gesteinsschichten. So befindet sich das seit fünf Jahrzehnten (ohne Umweltschäden) mit Hilfe der Fracking-Technik gewonnene Erdgas in gering durchlässigem Gestein (meist Sandstein). Man spricht vom Tight Gas, das nicht frei zum Bohrloch strömt, wenn man es anbohrt. Man muss also nachhelfen.

          Nach Schiefergas muss bis zu 3000 Meter tief gebohrt werden

          Zum Erschließen des unkonventionellen Erdgases ist ein deutlich größerer Aufwand notwendig. Denn das Schiefergas ist überwiegend an die Oberfläche der Gesteinspartikel gebunden. Zudem ist das Gestein extrem kompakt. So kompakt, dass dagegen die Betondecke einer Autobahn einem Küchensieb gleicht. Die Durchlässigkeit von Schiefergasgestein ist mehr als tausendmal geringer als die einer Betonfahrbahn, so dass man dieses Gas nur mit aufwendiger Technik dem Boden entlocken kann: So sind mehr Eingriffe als bei Tight Gas notwendig, um Fließkanäle zu schaffen. Zudem muss mehr Flüssigkeit in das Gestein gepresst werden.

          Warum also diesen Aufwand betreiben? Schiefergas ist in mehreren Ländern (auch in Europa) reichlich vorhanden. Das Erschließen dieser Lagerstätten mindert die Abhängigkeit von teuren Importen. Das kann durchaus attraktiv sein, wie die energiepolitischen Auswirkungen des Konflikts in der Ukraine zeigen. Entscheidend ist, dass die über die Jahre immer weiter perfektionierte Bohrtechnik das Ausbeuten auch komplizierter Lagerstätten zunehmend interessant macht. Und Schiefergasgestein liegt meist nicht tief. Das ist natürlich relativ und gilt für Nordamerika, aber nur bedingt für die Lagerstätten in Deutschland, wo man mindestens 2000 bis 3000 Meter tief bohren muss.

          Wie tief, wo genau und wie viel Schiefergas vorhanden ist, kann man derzeit nur mutmaßen. Genauere Ergebnisse sollen etwa in Nordrhein-Westfalen Untersuchungen in 19 Erlaubnisfeldern liefern, die sich Wintershall, die australische Queensland Gas Company, BNK Petroleum Inc. aus Kanada und ein Konsortium unter Beteiligung der Stadtwerke Hamm haben reservieren lassen. Wie Wintershall sagt, will es in ihren Feldern „Rheinland“ und „Ruhr“ Gesteinsentnahmen in nahe an der Oberfläche liegenden Schieferhorizonten vornehmen. Den Boden im Labor untersuchen und auf die Gashöffigkeit schließen. Dazu sind Flachbohrungen angedacht, von 300 Meter Tiefe ist die Rede. Gebohrt wird noch nicht. Fracking ist hierbei kein Thema, wäre aber notwendig, wenn man sich nach der Erkundung entschlösse und die Genehmigung erhielte, die Lagerstätte kommerziell auszubeuten.

          Wie steht es mit den Risiken? Wenn man den Fachleuten Glauben schenken will, ist das Aufspüren und Fördern von Schiefergas eine beherrschbare Prozedur. Das hätten die jahrelangen Erfahrungen mit der Fracking-Technik für die Förderung von Tight Gas gezeigt. Und die Schiefergasförderung gehe keineswegs zwangsläufig mit Umweltschäden einher, wie sie aus Amerika immer mal wieder gemeldet werden. Voraussetzung für den sicheren Betrieb sei jedoch, dass man die Lagerstätten genau kenne und die Technik verantwortungsvoll einsetze. Mit den heute verfügbaren seismischen Erkundungsverfahren lassen sich präzise 3D-Darstellungen des Untergrunds erstellen, anhand deren sich der Verlauf von Bohrlöchern - oder von Schächten und Stollen - so festlegen lässt, dass man Risikozonen zuverlässig umschiffen kann. Nur muss man diese Erkundungsarbeit auch tätigen, und zwar lange bevor man ernsthaft über Erschließungs- und Ausbeutungsstrategien nachdenkt. Bezogen auf Deutschland bedeutet das: Erst wenn man Lage und Ausmaß der hiesigen Schiefergasformationen genauer kennt, kann man weitere Schritte planen. Davon ist man noch meilenweit entfernt.

          Zusätze müssen umweltfreundlich sein

          Bleiben die technischen Risiken und damit die Herausforderung, die für das Aufbrechen des Gesteins eingesetzte Stützflüssigkeit konsequent im Kreislauf zu führen. Dabei muss jeder Kontakt mit dem Grundwasser vermieden werden. Und es geht um die Stützflüssigkeit selbst. Ihre Zusätze, gern wird vom Chemikalien-Cocktail gesprochen, müssen umweltverträglich sein, was sie anfangs nicht waren.

          So transportierte man für die ersten Fracking-Versuche die für das Offenhalten der in das Gestein gesprengten Klüfte verantwortlichen Sandkörner mit angedicktem Erdöl beziehungsweise Kerosin in den Untergrund. Wenig später schaffte man es, wasserbasierte Stützflüssigkeiten zu verwenden, denen man Gelbildner, Tenside und Tonstabilisatoren zusetzte. Alles Substanzen, die das Herauslösen des Gases aus dem Gestein beschleunigen sollen.

          Heute bestehen Fracking-Flüssigkeiten, wie das Unternehmen Exxon-Mobil Anfang April auf einer Tagung in Osnabrück berichtetete, aus 97 bis 99,8 Prozent Wasser und entsprechend geringen Mengen der bis zu 20 verschiedenen Additive, die alle maximal der Wassergefährdungsklasse 1 zuzuordnen sind und daher als vergleichsweise harmlos gelten. An noch weniger umweltschädlichen Mixturen werde gearbeitet, so suche man derzeit nach einem Ersatz für die heute der Stützflüssigkeit zugesetzten Bakterizide, mit denen das Bilden von Biofilmen und damit das Zuwachsen der in das Gestein gesprengten Klüfte verhindert werden kann.

          Die Gefahr der Grundwasserkontamination bleibt

          Will man Schiefergas in Deutschland eine Chance geben, müssen höchste Umwelt- und Sicherheitsstandards eingehalten werden. Dazu gehört vor allem auch das sorgfältige Abtrennen, Aufbereiten und Entsorgen des zusammen mit dem Gas aus dem Bohrloch strömenden Rückförderguts (Flowbacks). Noch wichtiger ist jedoch das Herstellen von gasdichten Bohrlöchern: Dabei gilt es, das nach der Erkundungsbohrung in das Bohrloch gesteckte Stahlrohr (Casing) lückenlos mit einem Zementbrei gegen das Gestein zu versiegeln. Zudem muss das über dem Fracking-Bereich liegende Gebirge gasdicht sein.

          Bei den aus Amerika bekanntgewordenen Zwischenfällen hat man gerade auf diese beiden Punkte nicht streng genug geachtet. Anders in Deutschland. Hier ist kein Fall bekannt, bei dem es nach Frack-Maßnahmen (zum Fördern von konventionellem Erdgas) zu einem Aufbrechen der Zementauskleidung und damit zu einem Kurzschluss zwischen Gas und Grundwasser führenden Schichten gekommen wäre. Wenn das passiert oder wenn mit dem Flowback herumgepanscht wird, kann allerdings das Grundwasser kontaminiert werden.

          Gas im Stein

          Sowohl für konventionelle als auch für unkonventionelle Lagerstätten kann Hydraulic Fracturing als Fördermethode erforderlich sein. Es ist also keineswegs so, dass das Fracking allein den unkonventionellen Lagerstätten vorbehalten ist.

          In konventionellen Lagerstätten ist das Erdgas nicht entstanden, es ist dorthin migriert und gespeichert. Das Gestein dieser Lagerstätten hat eine unterschiedliche Durchlässigkeit. Bei Gas aus sehr gering durchlässigem Gestein spricht man von Tight Gas. Anders ist es in unkonventionellen Lagerstätten. Hier befindet sich das Erdgas in Schichten, in denen es auch entstanden ist (Muttergestein). Zu diesen Vorkommen zählen Schiefergas oder auch Kohleflözgas.

          Mengen und Genehmigungen

          Anders als beim Erdöl ist die heimische Erdgasförderung mit rund zwölf Prozent des Verbrauchs durchaus relevant. Da 95 Prozent dieses Gases aus Niedersachsen kommen, ist die Diskussion um Chancen und Risiken der Fracking-Technik für dieses Bundesland besonders wichtig. Schon heute wird bereits ein Drittel des hier gewonnenen Erdgases mit Hilfe dieser Technik aus dem Untergrund geholt. Genehmigungen für weitere Fracking-Anwendungen hat es seit zwei Jahren keine mehr gegeben. Ein vor kurzem vorgelegter Erlassentwurf „Erdgasförderung unter strengen Auflagen“ könnte Bewegung in die Sache bringen, wobei die Genehmigung des Frackings von Umweltverträglichkeitsprüfungen und Bürgerbeteiligungsverfahren abhängig gemacht werden soll. Genehmigungen wird es aber lediglich für konventionelle Lagerstätten geben. Ein GasBoom wie in Nordamerika, der auf dem Ausbeuten von Schiefergestein beruht, wäre damit ausgeschlossen. Nach jüngsten Schätzungen gibt es in Deutschland 700 bis 2300 Milliarden Kubikmeter von technisch förderbarem Schiefergas. Das entspricht dem Zwei- bis Sechseinhalbfachen der in Deutschland bekannten Erdgasreserven.

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