Siemens sammelt seine Produkte : Aus der Schatzkammer der Technik
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Automatik-Toaster TT 450 mit Motiv der Olympischen Spiele 1972 Bild: Andreas Müller
Unterwegs auf einer technischen Zeitreise. Siemens sammelt seine Produktwelt in einer schlichten Lagerhalle. Wir durften einen Blick auf die Pretiosen werfen.
Frank Wittendorfer gerät ins Schwärmen. Das Siemens-Kammermusikgerät IV, SerieB, mit Schallplattenspieler, Radio sowie drei großen Lautsprechern und, wie er sagt, „brillantem Klang“ hat es ihm angetan. Zu gern würde er die Rarität aus dem Jahr 1940 restaurieren – wenn er die Zeit hätte. Heute bietet die frühere Schönheit ein Bild des Jammers: abgelöstes Furnier und zerkratzte Holzoberfläche. Nur der Plattenteller aus Samt gibt ein Stück des einstigen Glanzes wieder. „Da oben“, zeigt Wittendorfer, der Leiter des Siemens-Archivs, auf einen Holzkasten zwei Regaletagen höher, „gibt es die Truhe sogar mit zwei Plattenspielern.“
Die einst prachtvollen Exemplare der Unterhaltungselektronik aus dem Hause Siemens sind zu Lagergut degradiert. Aufbewahrt werden sie in einer schmucklosen Halle auf dem riesigen Bürokomplex des Konzerns in München-Neuperlach. Kaum ein Mitarbeiter nimmt Kenntnis von den Pretiosen. Dabei schreiben sie 168 Jahre Unternehmensgeschichte. „Siemens-Depot“ heißt dieser Ort verschämt, der mit der Historie des 1847 gegründeten Unternehmens vollgestopft ist.
Hermann-Josef Moufang ist der Statthalter dieser prall gefüllten Truhe großer und kleiner Schätze. Immer wieder staunt er, was der Konzern mit seiner Ingenieurkunst und Kreativität in der Vergangenheit zustande gebracht hat. Daher scheint es eher der Reizüberflutung geschuldet, dass der Depotleiter anders als sein Chef Wittendorfer keinen Favoriten der Historiensammlung hat. Moufang steht vor einer Reihe neuer Exponate, die abermals ein Stück Vergangenheit erzählen und viel Arbeit für ihn bedeuten: Fotografieren, Inventarnummer vergeben, identifizieren. „Allein in den letzten sechs Wochen haben sich gut 50 neue Ausstellungsstücke angesammelt.“
Trödel oder Schätze: „Bitte nicht wegwerfen“
Vor ihm türmen sich Messgeräte, Laptops und PCs verschiedener Baujahre. Und eine Verstärkerzentrale. Der Stahlschrank mit Radio und Plattenspieler aus den fünfziger Jahren wurde für den professionellen Gebrauch entwickelt. „Bitte nicht wegwerfen“ hat jemand mit einem schwarzen Filzstift unübersehbar in großen Buchstaben auf eine der Seitenwände geschrieben. Ein Siemens-Mitarbeiter wollte das Stück vor dem Verschrotten retten. Nun hat er das Gerät dem Unternehmensfundus zur Verfügung gestellt. Eine Inventarnummer hat das Ausstellungsstück aus der Vor-HiFi-Zeit noch nicht. Es wartet darauf wie der elektrische Holzparavent, der „Siemens Heizschirm HSD“ aus dem Jahr 1952. Der zieht 1000 Watt Strom und war als Wärmespender im Wohn- und Schlafzimmer gedacht.
Frank Wittendorfer schildert, dass sich die Abteilung jeden Tag viele Fragen stellt – und am Abend seien nur ein oder zwei beantwortet. Da würden Akten aus dem Archiv, alte Preislisten oder Bedienungsanleitungen gewälzt, historische Fotos, Zeichnungen oder Bilder herangezogen, um zumindest die nötigsten Antworten zu erhalten.
Eine Million Fotos und Filme
Die zahlreichen Reihen gefüllter Regale lassen den Siemens-Fundus unendlich erscheinen. „Die Historie von Siemens ist vielfältig und lang“, sagt Wittendorfer. Als Leiter des Historischen Instituts von Siemens (SHI) muss er es wissen. Neben dem Depot beaufsichtigt er weitere zehn Regalkilometer Akten, die im geschützten Keller in der Unternehmenszentrale am Wittelsbacherplatz in München liegen. Er ist zuständig für eine Million Fotos und Filme sowie für ein Terabyte elektronische Daten.
In der Lagerhalle in Neuperlach haben sich mittlerweile mehr als 15000 Ausstellungsstücke angesammelt. Bildschirmmonitore und Handys sind zur Stapelware geworden. Ein Stück Tiefseekabel, das 1873/1874 zwischen Europa und Nordamerika verlegt wurde, liegt unauffällig auf einem Tisch. Es gehört zu den Wurzeln des Unternehmens wie der Zeigertelegraph aus dem Gründungsjahr 1847. Die prachtvolle, gut erhaltene Schalttafel aus Marmor, die einst für ein Kraftwerk in der Berliner Siemensstadt 1920 gebaut wurde, findet eine Aufwertung durch einen exponierten Platz.
Eine Dokumentation des Produktspektrums
Gegenüber, so scheint es, heischen zwei Höhepunkte aus der Siemens-Geschichte nach Aufmerksamkeit. Uninspiriert stehen dicht an dicht die „Elektrische Viktoria“ und der Protos-Wagen im edlen Grün mit Ledersitzen. Das mit Batterien angetriebene Elektroauto Viktoria aus dem Jahr 1905 ist zwar nur ein Nachbau, zeigt aber die visionäre Kraft des Konzerns vor 110 Jahren. Elektromobilität war für Siemens schon damals ein Thema; in einer Zeit, als noch nicht feststand, ob sich der Verbrennungsmotor durchsetzen würde.