Der Sonntagsingenieur : Können Katalysatoren zaubern?
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Kein Zauberkasten: Sigrid Evelyn Nikutta, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe, scheint sich da noch nicht so sicher zu sein. Katalytisch wirksam ist ohnehin nicht die wabenförmige Trägerstruktur, sondern die Edelmetalle. Bild: dpa
Mit chemischen Prozessen gegen Schadstoffe: In Deutschland werden 85 Prozent aller Chemieprodukte mit Hilfe katalytischer Prozesse hergestellt - was dort passiert, ist keine Hexerei. Doch was machen diese Stoffe eigentlich genau?
Aus giftigen Abgasen wird saubere Luft. Kohlendioxid verwandelt sich in Kunststoffe. Und der Energieeinsatz in der chemischen Industrie, gemeinhin als „energieintensiv“ bekannt, sinkt dramatisch. Was zunächst wie Hexerei klingt, ist in Wirklichkeit auf die in Deutschland aktiv betriebene Erforschung neuer Katalysatoren zurückzuführen. Schon heute ist die volkswirtschaftliche Bedeutung von Katalysatoren enorm. Ob es um die Produktion von Düngemitteln, Medikamenten oder Kunststoffen geht: 85 Prozent aller Chemieprodukte werden mit Hilfe katalytischer Prozesse hergestellt, Tendenz steigend. Doch was tun diese Stoffe, die viele chemische Reaktionen erst ermöglichen, überhaupt?
Ein Wanderer, der von einer Seite eines Berges auf die andere gelangen will, tut gut daran, nicht stur geradeaus über den Gipfel zu laufen. Nimmt er stattdessen einen Umweg in Kauf, kann er erheblich Energie sparen, weil er weniger Höhenmeter bewältigen muss. Das gilt auch für chemische Reaktionen, bei denen Bindungen zwischen Atomen gebrochen und geknüpft werden, um Moleküle aufzubauen und damit neue Produkte entstehen zu lassen. Um die Reaktion überhaupt in Gang zu bringen, benötigt man eine gewisse Aktivierungsenergie.
Diese setzen Chemiker mit einem Trick herab: Statt das Endprodukt direkt zu erzeugen, gestatten sie der Reaktion einen Umweg über mehrere Zwischenzustände, für die in Summe weniger Energie zur Aktivierung aufgewendet werden muss. Diese Zwischenzustände entstehen, wenn sich einzelne Atome der Ausgangsstoffe zunächst an ein Katalysatormaterial binden, bevor sie sich in einer dauerhaften Synthese aneinander ketten. Der Katalysator nimmt also - anders als oft zu lesen ist - sehr wohl an der Reaktion teil, allerdings verändert er sich dabei nur zeitweise und nimmt am Ende der Reaktion wieder seinen Ausgangszustand an.
Bald kommt der „Vierwegekatalysator“
Jeder Sonntagszeitungsleser nutzt einen solchen Katalysator, wenn er nach der morgendlichen Lektüre einen Ausflug mit dem eigenen Auto unternimmt. Der eigentliche „Kat“ ist dabei nicht die wabenförmige Trägerstruktur aus Keramik oder Metall, die man nach dem Ausbau zu Gesicht bekommt. Katalytisch wirksam sind vielmehr Edelmetalle wie Platin, Palladium oder Rhodium, die fein verteilt in eine Beschichtung des Trägers eingebracht werden. In Deutschland ist für Fahrzeuge mit Ottomotor der Einbau eines Katalysators seit 1989 gesetzlich vorgeschrieben.
Dabei kommen Dreiwegekatalysatoren zum Einsatz, die gleichzeitig Kohlenmonoxid, unverbrannte Kohlenwasserstoffe und Stickoxide behandeln. Komplizierter wird die Abgasnachbehandlung beim Benziner künftig dadurch, dass die Partikelemission ab 2017 nochmals deutlich reduziert wird. BASF entwickelt derzeit eine Lösung, die den Einbau eines zusätzlichen Partikelfilters vermeiden soll: Der Partikelfilter wird mit einer katalytisch wirkenden Beschichtung überzogen, die wie ein konventioneller Dreiwegekatalysator wirkt.
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Mehr erfahrenDer so entstehende „Vierwegekatalysator“ kostet aufgrund des geringeren Gegendrucks etwas weniger Motorleistung als ein separater Partikelfilter im Unterboden. Der Dieselmotor hat es schwerer als Bruder Otto, da der Dreiwegekat nur bei einem genau definierten Luft-Kraftstoff-Verhältnis arbeitet. Daher kommen für die Stickoxidminderung vermehrt sogenannte SCR-Katalysatoren zum Einsatz. SCR steht für „Selective Catalyst Reduction“, eine Reaktion, die nur durch den Zusatz einer wässrigen Harnstofflösung funktioniert. Die Lösung, die unter dem Namen „Adblue“ vermarktet wird, muss der Autofahrer regelmäßig nachfüllen.
Energieeinsatz steht in keinem Verhältnis zum Ertrag
Den für chemische Prozesse benötigten Energieeinsatz zu mindern, ist das wichtigste Ziel der Katalyseforschung. Künftig könnten Katalysatoren sogar eine wichtige Rolle dabei spielen, Kohlendioxid direkt als Rohstoff für die Kunst- und Treibstoffproduktion zu nutzen. Denn bislang ist CO2 trotz des enthaltenen Kohlenstoffs kaum wirtschaftlich zu verwerten, der Energieeinsatz steht in keinem Verhältnis zum Ertrag.
Wie es trotzdem gehen könnte, erprobt zum Beispiel das CAT-Zentrum an der RWTH Aachen. Gemeinsam mit Bayer haben die Forscher dort an einem Prozess gearbeitet, der das standfeste CO2-Molekül als Baustein eines Rohstoffes für die Produktion des Matratzenrohstoffs Polyurethan nutzt. Eine erste Demonstrationsanlage, ausgelegt auf 4000 Tonnen Jahresproduktion, soll bereits im kommenden Jahr im nahe gelegenen Dormagen in Betrieb gehen. Die zugrundeliegende Reaktion ist grundsätzlich bereits seit 1969 bekannt, es fehlte lange Zeit jedoch an einem geeigneten Katalysator und an der passenden Rezeptur, die nun gefunden wurde.
Bei der Suche nach neuen Katalysatoren gilt nach wie vor oft: Probieren geht über Studieren. Dementsprechender Testaufwand wird in den Laboren der Katalyseforscher weltweit getrieben. Allerdings gewinnt das Studieren zunehmend an Gewicht: Während das 1910 patentierte Haber-Bosch-Verfahren zur Ammoniakproduktion rund 100 Jahre genutzt wurde, bevor der dahinter liegende Mechanismus vollständig aufgeklärt wurde, können die Teilschritte eines katalytischen Prozesses selbst für komplizierte Reaktionen heute mit hoher Präzision am Computer modelliert werden. Wie Zauberkunst sieht das nur für den Nichtchemiker aus.
Die neue Serie Sonntagsingenieur erscheint monatlich. Leser sind gern eingeladen, Fragen zu formulieren, die der Sonntagsingenieur in künftigen Folgen beantworten wird.