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Alte Debatten übers Auto : Weitblick

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Kein Moloch, sondern Miteinander: Die Bundesautobahn 201 galt mit ihrer Fertigstellung im Jahr 1972 als Gewinn für die Stadt Wuppertal. Bild: picture-alliance/ dpa

Das Auto als Feindbild – das gab es schon vor einem halben Jahrhundert. Ein Zufallsfund aus unserem Archiv.

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          Früher war nicht alles besser und manches noch nicht einmal anders. So hat das Auto die Menschen zwar mobil und unabhängig gemacht, trotzdem taugte es schon vor fast einem halben Jahrhundert als Feindbild. Der Club of Rome hatte seine Studie „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlicht, und durch die deutschen Städte waberten die Abgase. In jener Zeit entstand dieser Text. Seitdem hat sich vieles verändert, doch jedes Wort ist heute noch – oder wieder – wahr. (F.A.Z.)

          ***

          Das Jahr 1972, das jetzt zu Ende geht, hat mehr Niederlagen als Siege für das Auto gebracht. Seine Stellung im Kreis der Verkehrsmittel ist umstrittener als je zuvor. Wo immer es zurückgedrängt, der Autofahrer weiter reglementiert wird, regt sich öffentlicher Beifall. Als handgerechter Sündenbock muß „das Auto“ als Sammelbegriff immer dann herhalten, wenn örtlich und zeitlich begrenzte Probleme – sei es aus Unfähigkeit, sei es aus wirklicher Überforderung – nicht gelöst werden können. Das simple, aber wirksame Klischee vom „Moloch Kraftverkehr“, der alles aufzufressen droht, ist aus den Diskussionen nicht mehr zu vertreiben. Jeder lebt mit dem Auto, aber kaum einer scheint es mehr zu lieben.

          Man muß es freilich auch nicht unbedingt lieben, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es genügt durchaus, seine Vorzüge zu respektieren – sich zum Beispiel zu überlegen, wie man in seinem ganz privaten Bereich ohne das Auto zurechtkäme. Dabei muß man nicht nur den eigenen Wagen aus der Rechnung streichen, sondern auch alle die Autos, die man, ohne es recht zu bemerken, mitbenutzt: beim Einkaufen in wohlsortierten Läden ebenso wie beim Lesen der Zeitung oder wenn der Mann kommt, der die Ölheizung repariert.

          Die Tatsache, daß es ohne Auto nicht geht, schließt allerdings wachsende Vernunft im Umgang mit ihm nicht aus. Jeder wird sich in den nächsten Jahren genauer als bisher überlegen müssen, ob eine Fahrt zu einer bestimmten Zeit und an einen bestimmten Ort unbedingt nötig ist. Schon jetzt bremst die Verkehrs­dichte an vielen Stellen die alte ­Freizügigkeit erheblich, und in Zukunft werden es auch die wachsenden Kosten für die Autohaltung tun. An die Seite der erwünschten Selbstdisziplin tritt mehr und mehr die Ungunst der Verhältnisse. Aber auch dort, wo gegenwärtig alles noch in Ordnung scheint, wird es bald zu den Bürgerpflichten gehören, nicht um jeden Preis Auto zu fahren, wenn es auch zumutbar anders geht.

          Das braucht den Spaß am Wagen nicht zu zer­stören, wo er – so legitim wie eh und je – noch vorhanden ist. Doch den Anfeindungen und Anforderungen, denen das Auto auch 1973 und in den kommenden Jahren ausgesetzt sein wird, darf man nicht genauso un­sinnige Emotionen entgegensetzen, sondern, jeder für sich, Überblick und Verstand. Je eher, desto besser.

          Von Gerold Lingnau, seinerzeit verantwortlicher Redakteur „Motor“, in der F.A.Z. vom 28. Dezember 1972.

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