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Fahrbericht Yamaha XSR 700 : Phantasie und Schraubenschlüssel

Bild: Hersteller

„Faster Son“ Nummer eins stand für eine erste Probefahrt bereit und wird zum Jahreswechsel auf den Markt kommen. Mit der XSR 700 setzt Yamaha auf das Retro- und Umbau-Fieber.

          3 Min.

          Retro ist ein weites Feld. Keinesfalls ein neues Thema im Motorradbau, doch nimmt es gerade noch einmal richtig Fahrt auf. Und es lässt viel Spielraum für Interpretationen: von Maschinen, die detailgetreu in die Fußstapfen historischer Vorbilder treten, bis hin zu gewagten Neuinterpretationen von Gewesenem reicht das Spektrum.

          Walter Wille
          Redaktion „Technik und Motor“

          Es werden in diesem Marktsegment nicht nur Motorräder verkauft, sondern vor allem Geschichten und Geschichte. Es geht nicht um Daten, Fakten, Fahrbarkeit allein, sondern um Emotionen. Zum umfassenden Lifestyle wird das Ganze dadurch, dass allerorten die Lust an Individualisierung und Bastelei erwacht, obendrein penibel auf die passende (Ver-)Kleidung geachtet wird. Was bisher auf die Szene der Customizer und Hipster beschränkt war, erreicht auch ganz gewöhnliche Motorradfahrer. Selbst Adrenalintypen finden neuerdings Gefallen am entschnörkelten Old-School-Fahren. Jens vom Brauck, einer der profiliertesten deutschen Profi-Umbauer, formuliert es so: „Bisher war das eine Untergrundbewegung, jetzt wird es zum Mainstream.“

          Nicht alle Motorradhersteller haben es begriffen, einige verschlafen die Entwicklung tief und fest. Zu den anderen zählt Yamaha. Das Unternehmen hat das Thema an sich gerissen wie kaum ein anderes, bindet bekannte Akteure der internationalen Customizing-Zunft an sich, lässt aufsehenerregende Umbauten von Serienfahrzeugen anfertigen, zeigt auf Szenetreffen Flagge und erweitert Schritt für Schritt das Angebot an Modellen mit Retro-Geschmack. Jetzt haben sich die Japaner den Slogan „Faster Sons“ einfallen lassen. „Ausgangspunkt eines neuen Konzepts ist immer eine Stilikone aus der Vergangenheit, die mit modernster Motorradtechnik aufgeladen wird“, heißt es dazu mit der weiteren Anmerkung, dass „die Söhne mit Respekt die Arbeit ihrer Väter fortführen und später mit ihren Kreationen einfach schneller unterwegs sein werden“.

          Es mag den Anschein haben, dass Japaner sich ihre Formulierungen manchmal unter Einatmen von Benzinnebel ausdenken. Doch die ersten Ergebnisse sind greifbar: „Faster Son“ Nummer eins stand jetzt für eine erste Probefahrt bereit und wird zum Jahreswechsel auf den Markt kommen. Es handelt sich um die XSR 700 für 7495 Euro plus Nebenkosten. Etwas günstiger als die Ducati Scrambler, eine der Hauptkonkurrentinnen, wird sie also sein.

          Viel Ähnlichkeit ist beim besten Willen nicht zu entdecken

          Als Yamaha neulich erste Fotos der XSR 700 veröffentlichte und behauptete, die erinnere an die XS 650 aus den siebziger Jahren, dachte manch einer: Hä? Was hat die eine mit der anderen zu tun? Auch wenn man noch so lange die Augen zwischen Bildern der Neuen und der Alten hin und her wandern lässt - viel Ähnlichkeit ist beim besten Willen nicht zu entdecken. Wahrscheinlich geht es eher um eine Verbundenheit im Geiste.

          Die XSR 700 ist nicht als Hipstermobil gedacht, sondern als rassige Fahrmaschine mit einer Prise Nostalgie. Die technische Basis liefert das Naked Bike MT-07 mit seinem Zweizylinder-Reihenmotor mit 689 Kubikzentimeter Hubraum, 75 PS (55 kW) bei 9000 Umdrehungen und 68 Newtonmeter bei 6500/min. Wie im Bestseller MT-07 agiert das famose Triebwerk druckvoll untenherum und drehfreudig oben heraus, simuliert mit seinem Hubzapfenversatz von 270 Grad charaktervollen V2-Pulsschlag. Räder, ABS-Bremsanlage und Federelemente, Letztere eher weich und komfortabel als sportlich straff abgestimmt, sind identisch. Vom Bestseller MT-07 erbt die XSR 700 Leichtfüßigkeit, Wendigkeit und ein unkompliziertes Verhalten. Hier wie dort ist das Fahren ein ausgesprochen harmonisches Vergnügen. Weil einige Plastikkomponenten der MT-07 gegen solche aus Aluminium ausgetauscht wurden, wiegt die XSR vier Kilogramm mehr, ist mit 186 Kilo (mit vollem 14-Liter-Tank) jedoch noch immer ein Leichtgewicht.

          Klassisch mutet auch das Profil der Reifen an

          Weitere Unterschiede betreffen Motorsteuerung, Abgasanlage (die XSR erfüllt die vom nächsten Jahr an geltenden Euro-4-Bestimmungen) sowie die Sitzposition. Durch eine andere, zweifach gemusterte Lederbank sowie einen weiter zum Fahrer hin gerichteten Lenker sitzt man höher, aufrechter. Das erinnert tatsächlich ein wenig an das Reiten in Bonanza-Zeiten, nicht zuletzt wegen des Anblicks des dicken Scheinwerfer-Topfs überm Vorderrad. Den wollte Projektleiter Shun Miyazawa so haben: Er ist der Lampe seines alten BSA-Fahrrads aus den dreißiger Jahren nachempfunden. Klassisch mutet auch das Profil der Reifen (Pirelli Phantom) an, die während der Probefahrt einen exzellenten Eindruck hinterließen. Das kreisrunde Rücklicht, übernommen von der XV 950, erinnert an die Dampflok-Ära.

          Stilistisch ist die XSR 700 eine verwegene Mischung unterschiedlicher Epochen, Ergebnis des Bemühens, einem modernen Motorrad Geschichte überzustülpen. Man kann das akzeptieren, sogar mögen, wird aber das Gefühl nicht los, dass das Design noch seiner Vollendung harrt, in welche Richtung auch immer. In der Tat versteht Yamaha die Neue ausdrücklich als Ausgangsbasis für eine Individualisierung durch den Käufer mittels Phantasie und Schraubenschlüssel.

          Heckumbauten beispielsweise lassen sich relativ einfach vornehmen, weil das Rahmenheck nicht verschweißt, sondern verschraubt ist. Die Alublenden des Stahltanks und die Kotflügel sind unkompliziert zu entfernen. Den Designern war es wichtig, ein „neutrales“ Motorrad auf die Räder zu stellen, das nicht von Anfang an einer Kategorie wie Café Racer oder Scrambler zuzuordnen ist, ein weißes Blatt Papier sozusagen. Praktischerweise bietet Yamaha gleich einige Dutzend Zubehörteile an sowie betont lässige Klamotten. Für „Faster Sons“.

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