Richtlinie zu CO2-Grenzwerten : Die EU ist dran, den Verbrennungsmotor zu beerdigen
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Rote Kunst mit zwölf Zylindern: Sollten Europas Parlamentarier die Flottenzielwerte unverändert beschließen, wäre nicht nur damit von 2035 an endgültig Schluss. Bild: Imago
Bleibt die EU-Richtlinie zu neuen CO2-Grenzwerten für Autos und Lieferwagen unverändert, hat sie weitreichende Folgen. Für den Klimaschutz könnte sich das zum Bumerang entwickeln.
Punkt sechs der Tagesordnung hat es in sich. Er reicht weit über den Zeitraum hinaus, mit dem sich die Europaparlamentarier Anfang dieser Woche im Plenum beschäftigen sollen, wenn sie über wesentliche Teile des Fit-for-55-Pakets diskutieren, das klimaschädliche CO2-Emissionen bis 2030 senken soll. Doch die von der EU-Kommission vorgeschlagene und vom Umweltausschuss bereits gebilligte Richtlinie zu neuen CO2-Grenzwerten für Autos und Lieferwagen enthält eine kurze Passage, die den endgültigen Abschied vom Verbrennungsmotor erzwingt. Vom 1. Januar 2035 an gilt demnach ein EU-weiter Flottenzielwert, „der einer Verringerung des Ziels für das Jahr 2021 um 100 % entspricht“. Analoges findet sich zu den Grenzwerten für leichte Nutzfahrzeuge.
Passiert dieser Teil der Richtlinie die für kommenden Donnerstag vorgesehene Abstimmung unverändert, hat das weitreichende Folgen, nicht nur für Autofahrer und Fahrzeughersteller, sondern für das gesamte Energiesystem. Auch synthetische Kraftstoffe, wie sie Porsche für den 911er einsetzen will, hätten nämlich keine Zukunft mehr. Denn für den Flottenzielwert gelten allein die CO2-Emissionen, die ein Fahrzeug im Betrieb ausstößt. Das gilt auch dann, wenn der für die Kraftstoffherstellung benötigte Kohlenstoff zuvor aus der Luft abgeschieden wird.
Wer nach dem Stichtag ein neues Auto kauft, hat keine Alternative zu einem elektrischen Antrieb, wobei die Batterie durch eine mit Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle ergänzt werden könnte – falls Letztere bis dahin in das Auto Einzug gehalten hat. Denn Emissionen, die durch die Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken entstehen, werden in der EU-Systematik nicht berücksichtigt. Das Elektroauto geht in die Berechnung der Flottenwerte immer zu null ein. Gleiches gilt für Wasserstoff, selbst wenn der aus Erdgas reformiert wird.
Selbst bei BMW gab es noch viele kritische Stimmen
Dass in der Europäischen Union so gerechnet wird, hat nachvollziehbare Gründe. Als nämlich im Jahr 2009 nach der Finanzkrise die Flottenemissionen erstmals verbindlich geregelt wurden, hielt kaum jemand einen schnellen Durchbruch der Elektromobilität für möglich. Selbst beim Elektropionier BMW, wo die Entwicklung des i3 bereits angelaufen war, gab es noch viele kritische Stimmen. Energie im Verkehrssektor basierte ausschließlich auf Mineralöl, und so bestand Klimaschutz darin, dessen Verbrauch schrittweise abzusenken. So wurde zunächst für 2015 ein Flottengrenzwert von 130 Gramm CO2 pro Kilometer festgelegt, dieser sank bis zum Jahr 2020 auf 95 Gramm pro Kilometer. Die Folge war zunächst ein Innovationsschub in der Motorenentwicklung. Kleine Drei- und Vierzylindermotoren mit hoher spezifischer Leistung sollten das Problem in der Mittelklasse lösen. In der Oberklasse hielt alles Einzug, was gut und teuer ist: Hochdruckeinspritzung, variable Ventilsteuerung, zweistufige Aufladesysteme und nicht zuletzt die ersten Hybridsysteme, die den Verbrennungsmotor elektrisch unterstützen.
Vergebens all die Mühe. Nach dem 2015 aufgedeckten Dieselskandal kippte nicht nur in der Politik, sondern auch in der Industrie die Stimmung. Der Elektroantrieb galt als einzige Zukunftstechnologie, die Entwicklungsbudgets für Verbrennungsmotoren wurden Schritt für Schritt reduziert, und die Autohersteller begannen damit, Ausstiegszeitpunkte zu definieren – wobei in der Regel nur der europäische Markt gemeint ist. Die Anbieter folgen damit der Logik, die der Gesetzgeber durch die Zu-null-Setzung oder sogar Mehrfachanrechnung von Elektroautos vorgab. Genau dagegen wettert Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie seit Längerem. Anlässlich der bevorstehenden Entscheidung des europäischen Parlaments organisierte er ein Schreiben von mehr als 200 Fachleuten, das der Politik einen groben Rechenfehler vorwirft. Denn der Mehrverbrauch an Strom, der durch Elektroautos entsteht, muss komplett durch fossile Kraftwerke gedeckt werden, sofern nicht im gleichen Umfang Erzeugungsanlagen zugebaut werden. Dementsprechend ist selbst die in vielen Studien verwendete Rechenweise mit einem CO2-Durchschnittswert pro Kilowattstunde nicht legitim.