Elektro-Golf : Und Watt jetzt?
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Voll elektrisch und voll beklebt: Der E-Golf kommt als Betriebsfahrzeug in zwei Farbvarianten beim Energieversorger ENBW zum Einsatz. Bild: Hersteller
Der Energieversorger ENBW rüstet seine Flotte mit E-Golf aus. Um die Suche nach der nächsten Tanksäule und lange Ladezeiten zu vermeiden, hat das Management eine Idee.
Draußen sind es kuschelige 31 Grad, wir fahren von der ENBW City, der Konzernzentrale des Energieversorgers im Süden Stuttgarts, in die Stadt. Thomas Burger dreht die Klimaanlage im Elektroauto hoch, von 21 auf 24 Grad. Um den Akku des Fahrzeugs zu schonen? Nein, wiegelt er ab, 130 Kilometer Reichweite zeigt das Display, und darauf könne man sich verlassen. Und dann experimentiert er mit der Rekuperation, also der Zurückgewinnung von Energie beim Bremsen. Abermals fasziniert die Anzeige im Bordcomputer.
Burger staunt, obwohl er sich bestens auskennt: Als Leiter Facility Management und Infrastruktur von Energie Baden-Württemberg hat er die Elektrofahrzeuge aller Hersteller im Blick. Viele rollen bereits in seinem Fuhrpark, der aus 3600 Fahrzeugen besteht.
Nun soll nachhaltige Elektromobilität mit sauberem Strom für emissionsfreies Fahren sorgen. Zur Reduzierung der Stickoxide hatte unlängst Verkehrsminister Dobrindt alternative Antriebe für jene Fahrzeuge gefordert, die sich ständig im Stadtverkehr befinden.
Um dem leidigen Henne-Ei-Problem des Elektroantriebs der begrenzten Reichweite und geringer Zahl verfügbarer Stromtankstellen zu begegnen, hat sich Burger einen Trick einfallen lassen: Wer fährt im eigenen Fuhrpark welche Strecken? Diese Frage stand am Anfang einer originellen Bedarfsanalyse.
Man spricht von „Motivationsfahrzeugen“
3000 Fahrzeuge sind Monteurswagen, teils mit Werkstatteinrichtung, die sich zwischen 70 und 80 verschiedenen Standorten in Baden-Württemberg bewegen. Diese Spezialfahrzeuge sind typischerweise ein VW Caddy oder ein Ford Transit. Die verbleibenden 600 Autos des ENBW-Fuhrparks sind Dienstwagen mit privater Nutzung, Burger spricht von „Motivationsfahrzeugen“.
Alternative Antriebe hat die ENBW seit eh und je eingesetzt: Mit Autogas, Erdgas und Wasserstoff kennt man sich dort aus. Nun soll die Zahl der vollelektrischen Fahrzeuge mit einem Schlag um 50 auf 93 erhöht werden. 50 E-Golfs werden für den Fuhrpark geleast, es sind die „alten“ Modelle, die 2014 vorgestellt wurden, noch nicht die neuen, die nach einem Facelift im vierten Quartal debütieren werden.
Der E-Golf fährt allein mit einem 115 PS starken Elektromotor, bis maximal 140 km/h, dann wird abgeriegelt. Er lässt sich an herkömmlichen Schuko-Steckdosen laden, was bis zu 13 Stunden dauert, oder an Ladestationen, Wallboxen (9 Stunden) und Schnellladestationen (30 Minuten für 80 Prozent). Die Reichweite liegt bei 130 bis 150 Kilometer. Auch die Zuladung ist begrenzt (440 Kilogramm), und der E-Golf ist teuer: mindestens 35.000 Euro, wenn man ihn kaufen und nicht leasen würde.
Reichweitenproblem vom Tisch
Wie bringt man einen solchen Exoten in den Fuhrpark? Wer soll damit fahren? Burgers Trick ist ein Blick in die Datenbanken und die Prüfung der Nutzerprofile reiner Betriebsfahrzeuge, die nicht privat gefahren werden. Es wurden diejenigen ermittelt, die typischerweise nicht mehr als 100 Kilometer am Tag fahren. Damit ist das Reichweitenproblem vom Tisch. Wer nicht weiter fährt, kommt auch nicht in den Grenzbereich, muss sich tagsüber nicht ums Nachladen kümmern oder um die Suche nach der nächsten Tanksäule.
50 E-Golfs wurden den betreffenden Mitarbeitern angeboten, 80 wollten ihn haben. Es sind weitgehend Bauleiter mit koordinierenden Tätigkeiten zwischen Büro und Baustelle, die im Stuttgarter Stadtgebiet und außerhalb auf Achse sind, Werkzeuge, Messgeräte und Dokumente dabeihaben und jeden Winkel erreichen müssen. Die E-Golfs haben ein plakatives Branding, sind also sofort als Dienstfahrzeuge zu erkennen.
Für den Ladevorgang hat ENBW hat eine halbe Million Euro in die entsprechende Infrastruktur gesteckt, aufgetankt wird mit Wechselstrom: Die Autos kommen abends an die Ladesäule und sind morgens wieder einsatzbereit, es kommt nicht aufs Tempo an. Auf die Daten der Tanksäulen kann das Flottenmanagement unmittelbar zugreifen; nötigenfalls lassen sich auch die öffentlichen Stromtankstellen von ENBW nutzen.
Begegnung auf Augenhöhe
Warum ausgerechnet der E-Golf von Volkswagen? Er passe am besten zum Aufgabenprofil der Mitarbeiter und signalisiere eine Begegnung mit den Kunden auf Augenhöhe. Deutlich teurere Elektrofahrzeuge schieden bereits deshalb aus. In einem Volkswagen fühlten sich zudem die Mitarbeiter gleich zu Hause. Technische Vorzüge gegenüber der Konkurrenz hätte der E-Golf indes nicht.
Bedauerlich sei, dass er erst nach dem Facelift mehrphasiges Laden unterstützen werde. Die Anschaffung von 50 vollelektrischen Fahrzeugen sieht Burger nicht nur als politisches Signal im Sinne des Umweltschutzes und der notorischen Feinstaubbelastung in Stuttgart, sondern auch als Feldversuch zur Erprobung des Last-Managements.
Wie reagiert das Netz, wenn eine kleine Flotte von Elektrofahrzeugen gleichzeitig geladen wird? Man könne von einem Energieversorger erwarten, dass er sich diesbezügliche Kompetenz erarbeitet, sagt Burger und verweist gleich auf die höheren Kosten im Vergleich mit einem Benziner oder Diesel.
Keine Einweisung benötigt
Ein großes Problem mit dem Leasinggeber sei die Restwert-Debatte gewesen. Hat das Elektroauto nach dem Ende des Leasingvertrags, also nach drei bis vier Jahren, noch ein zweites Leben, oder ist das teuerste Bauteil, nämlich der Akku, dann verschlissen? Die Leasinggeber täten sich mit dieser Frage schwer. Mittlerweile sei jedoch klar, dass die Lebensdauer des Akkus bisherige Schätzungen deutlich übertreffe.
ENBW schließt für die E-Golf einen Leasingvertrag über 48 Monate ab, man geht von einer Laufleistung von 10.000 Kilometer im Jahr aus, es wird also ein Benziner ersetzt. In der Bilanz lägen die Gesamtbetriebskosten für den E-Golf rund ein Viertel über denen eines Fahrzeugs mit konventionellem Antrieb, weitere Details will man nicht kommunizieren. Die staatliche Kaufprämie von 4000 Euro als Fördermaßnahme für reine Elektroautos erhält der Leasinggeber, sie geht in die Berechnung der Leasingrate ein.
Eine Einweisung fürs Elektroauto benötige man nicht. Wenn morgen, am Montag, die neue Elektroflotte an den Start geht, sei der wichtigste Ratschlag: angesichts des hohen Drehmoments vorsichtig fahren. Eine Reichweitenpanik sei nicht angesagt, meint Burger. Wenn das Display des Fahrzeugs eine Restreichweite von 130 Kilometer zeige, denke man zwar unwillkürlich an die Tankstellensuche. Von diesem Gedanken müsse man sich aber verabschieden.
„Im großen Stil mitmachen“
In seinen Plänen ist der Manager schon einen Schritt weiter. Betrage, sinniert er, in Zukunft die Reichweite der Elektroautos 350 Kilometer, könnte man vier Personen mitsamt Gepäck kommod befördern, dann werde ENBW abermals vorausfahren. Nämlich mit dem Elektroantrieb auch für privat genutzte Dienstwagen. Hier wolle das Unternehmen in der ersten Reihe stehen und „im großen Stil mitmachen“, sagt Burger.
Dieses Szenario könnte 2019 zur Realität werden, meint er. Nur müsse der Gesetzgeber endlich die steuerliche Benachteiligung alternativer Antriebe aufheben. Wer sich für Gas oder Strom entscheidet, muss derzeit seinen Dienstwagen höher versteuern, weil die neuen Techniken teurer sind und sich der geldwerte Vorteil am Brutto-Listenpreis des Fahrzeugs bemisst.