Bugatti Atlantic : Das 30-Millionen-Dollar-Auto
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Die Leiste auf dem Dach erinnert fast an einen Irokesen Bild: Schimpf
Nur viermal wurde der Bugatti Atlantic gebaut. Er gilt als einer der ausgefallensten Oldtimer. Eine genietete Alu-Naht, die über das gewölbte Autodach läuft, ist sein Design-Merkmal schlechthin. Seit kurzem ist der Oldtimer auch der teuerste.
Dass mancher Picasso oder Monet auf Versteigerungen exorbitante Preise erzielt, kennt man ja schon. Aber 30 Millionen Dollar für ein Auto? Was bisher undenkbar war, ist jetzt passiert: Es geht um einen Bugatti Atlantic.
Auf der Ocean-Avenue des sonst so beschaulichen kalifornischen Städtchens Carmel wuselt eine dichte Menschenmenge um 200 klassische Automobile. Es ist die Mittagsrast der Tour d'Elegance, deren millionenteurer Pulk über die Halbinsel von Monterey zuckelt. An einer Stelle direkt vor dem Restaurant „Merlot“ drängeln sich die Massen besonders intensiv. Kinder werden hochgehoben und unzählige Handykameras empor gereckt. Vom Objekt der Begierde ist im Gewühl jedoch wenig zu sehen. Gerade mal ein paar Quadratzentimeter von spiegelblankem grauen Lack. Und eine Art von aufgerichtetem Kamm, eine genietete Alu-Naht, die über das gewölbte Autodach läuft: Das Design-Merkmal schlechthin des Bugatti Atlantic.
Es ist einer von vier, die jemals gebaut wurden. Zwei existieren noch im Originalzustand. Einen besitzt der Modemacher Ralph Lauren (Fahrgestellnummer 57 591). Der andere wechselte vor kurzem für sage und schreibe 30 Millionen Dollar den Eigentümer. Sogar das „Wallstreet Journal“ berichtete darüber. Die Erben des Mediziners Peter Williamson - bis zu seinem Tod 2008 ein exzessiver Bugattisammler - verkauften diese Rarität (Nr. 57 374) an den nicht weniger autoverrückten Kalifornier Peter Mullin. Gerade hat er sich ein eigenes Museum für seine insgesamt 150 rollenden Antiquitäten bauen lassen.
Der allererste Bugatti Atlantic überhaupt
Das 30-Millionen-Dollar-Stück hatte Williamson, der in Lyme/New Hamphshire lebte, im Jahr 1971 für schlappe 59 000 Dollar in Beverly Hills erworben. Es handelte sich dabei um den allerersten Bugatti Atlantic überhaupt, der 1936 an den Bankier Victor Rothschild ausgeliefert worden war.
Während die Nummer drei dieser Spezies in den Wirren des Krieges verschwand, tauchte nun plötzlich der vierte Bugatti Atlantic beim Concours d'Elegance in Pebble Beach auf. Der bisher Verschollene, perlgrau und makellos, trägt die Chassisnummer 57 473. Er wurde 1937 für Jacques Holzschuck aus Paris gebaut. Der verkaufte den Wagen an René Chatard, der wiederum 1955 mit seiner Freundin Janine Vacheron beim Zusammenstoß mit einem Zug auf einem unbeschrankten Bahnübergang ums Leben kam. Die französische Eisenbahngesellschaft hielt die Trümmer lange unter Verschluss, ehe der Sammler André Berson das Wrack erwarb und mit 80 Prozent Neuteilen wieder aufbauen ließ. In Pebble Beach erlebte der schatten-graue Bugatti nun seine Renaissance und war ständig von Menschen umlagert. Und schon streiten die Experten: Ist dieser Atlantic nun ein Original - oder nicht? Ein Anlass, die Atlantic-Historie mal ein wenig zu erhellen.
Der große Wurf Bugattis war zwar der Typ 35, der zwischen 1925 und 1934 über 2000 Rennsiege herausfuhr. Doch schon Anfang der 1930er Jahre ging es mit dem Unternehmen nicht nur sportlich, sondern vor allem wirtschaftlich steil bergab. Der „Patron“ Ettore Bugatti zog sich damals auf sein Schloss Ermenonville bei Paris zurück und überließ seinem kongenialen Sohn Jean die Führung des Molsheimer Unternehmens.
Jean Bugatti hatte - zunächst ohne Wissen seines Vaters - ein sensationelles Modell entwickelt: Den Typ 57, der 1933 beim Pariser Salon debütierte. Ettore sprach ärgerlich von „einem Buick made in Molsheim“. Doch in Wahrheit schuf dieser 57er die Basis dafür, dass das Unternehmen überhaupt überleben konnte. 709 Exemplare des Typs 57 mit 3,3-Liter-Achtzylindermotoren verließen Molsheim, davon gehörten 43 zur besonders begehrten Modellreihe 57 S und SC (mit Kompressor).
Nicht nur als Serienauto für betuchte Kunden gedacht
Eigentlich hatte Jean Bugatti den Typ 57 nicht nur als Serienauto für betuchte Kunden gedacht, sondern vor allem auch als Rennsport-Variante. Heute würde man sagen: Ein „ultimativer GT“ sollte es sein. Deshalb ließ er den 57er mit einer Stromlinienkarosserie versehen und nannte diese Version Aero (oder auch Aerolithe). Später wurde der Name dann in Atlantic umgewandelt. Das sollte die Erinnerung an den von Jean Bugatti verehrten Flieger Jean Mermoz wachhalten, der im Jahr 1936 bei einer Südatlantik-Überquerung spurlos verschwunden war.
Die normalen 57er gab es als Galibier (viertürige Limousine), Stelvio (Cabrio), Ventoux (Zweitürer) und Atalante (Coupé). Doch die berühmteste Variante blieb immer der Atlantic. Und das obwohl das über 200 km/h schnelle Gerät niemals in einem Rennen zum Einsatz kam. Sein Styling ist atemberaubend. Noch heute. Die Räder sind von der Karosserie abgesetzt und werden durch wuchtige Kotflügel betont. Die Motorhaube streckt sich extrem lang, das Heck ist gerundet und mündet in einem Oval. Das herausragende Design-Merkmal aber ist der klar akzentuierte Kamm, der senkrecht stehend von der Windschutzscheibe bis zur hinteren Stoßstange verläuft. Es ist die genietete Naht der beiden aneinandergehefteten Aluminium-Karosseriehälften. Eigentlich also nur ein Produktionszwang.
Und dennoch gibt es kaum Zweifel: Der Bugatti Atlantic ist der eigenwilligste, aufregendste Klassiker auf Rädern. Und der teuerste noch dazu.