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Telekom und die Netzneutralität : Drosselung und Diskriminierung

Wird der Datenstrom bei der Telekom bald gedrosselt? Bild: dpa

Die Telekom denkt darüber nach, bei DSL-Anschlüssen im Festnetz eine Datendrosselung vorzunehmen. Noch sind es nur Überlegungen, aber die Debatte macht die Netzgemeinde nervös.

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          Die Telekom denkt darüber nach, bei DSL-Anschlüssen im Festnetz eine Datendrosselung vorzunehmen. Noch sind es nur Überlegungen, aber die Debatte macht die Netzgemeinde nervös. Wie im Mobilfunk gang und gäbe, soll auch im Festnetz die Übertragungsgeschwindigkeit nach dem Erreichen eines Inklusivvolumens so heruntergeregelt werden, dass man entweder DSL bis zum Beginn des nächsten Abrechnungszeitraums nicht mehr nutzt - oder man erwirbt kostenpflichtig weiteres Datenvolumen. Eine solche Drosselung gibt es bereits in den VDSL- und Glasfasertarifen der Telekom, sie beginnt, je nach Variante, bei 100 Gigabyte im Monat. Für den gewöhnlichen DSL-Anschluss „Call & Surf“ mit einem Tempo von bis zu 16 MBit/s soll nach unbestätigten Gerüchten schon nach 75 Gigabyte die Grenze des Surfspaßes erreicht sein. Die Telekom begründet ihre Pläne damit, dass das Datenvolumen exponentiell wachse, der Netzausbau teuer sei und auf diese Weise nur diejenigen Kunden „mehr zahlen müssten, die tatsächlich mehr Volumen beanspruchen“.

          Michael Spehr
          Redakteur im Ressort „Technik und Motor“.

          Was sich zunächst vernünftig anhört, ist jedoch kompliziert. Die Kosten für den Datentransport sind gegenüber den Aufwendungen für Erhalt und Ausbau der Netzinfrastruktur zu vernachlässigen. Deutschland ist hinsichtlich der Internetversorgung eines der am schlechtesten ausgebauten Industrieländer. Und die derzeit erfolgende Tilgung „weißer Flecken“ der DSL-Landschaft wird von den Kommunen mit sechsstelligen Beträgen je Gemeinde finanziert und nicht etwa von der Telekom.

          Filme und Videos sind der Großteil des Datenvolumens

          Der Stein des Anstoßes ist jedoch die Ausschlussklausel in den VDSL- und Glasfasertarifen für die Entertain-Produkte: Nutzt man das Telekom-Angebot für TV-Empfang und Filmverleih, wird das dabei entstehende Datenvolumen nicht auf die DSL-Volumengrenze angerechnet. Filme und Videos wiederum machen den Großteil des Datenvolumens in Privathaushalten aus. Für eine Minute Video müssen hundertmal mehr Daten übertragen werden als für eine Minute Lesen. Es geht der Telekom also darum, eine Differenzierungslinie einzuziehen zwischen „guten Daten“ hauseigener Produkte und „schlechten Daten“, die von Mitbewerbern generiert werden. Man kann sich nun vortrefflich darüber echauffieren, dass Dienste wie Apples iTunes, Maxdome oder Youtube diskriminiert werden. Ganz ähnlich verfährt die Mobilfunksparte der Telekom mit ihrer Spotify-Kooperation im Musikbereich: Spotify-Daten werden nicht auf Inklusivvolumina angerechnet.

          Das sich am Hintergrund abzeichnende Ziel der Telekom (und vieler anderer Internetprovider) besteht indes nicht darin, Preiserhöhungen auf Umwegen durchzusetzen. Das Ziel ist umfassender definiert und besteht in der Abschaffung der Netzneutralität. Der sperrige Begriff bedeutet, dass zwei im Internet verbundene Punkte mit der Geschwindigkeit miteinander kommunizieren können, die diese Verbindung hat. Alle Datenpakete werden unverändert und gleichberechtigt übertragen, „unabhängig davon, woher diese stammen oder welche Anwendungen die Pakete generiert haben“, wie es bei Wikipedia heißt.

          Er blockiert andere Dienste

          Die Aufhebung der Netzneutralität bedeutet stets den Vorgang des Bremsens, der Filterung und letztlich der Zensur. Der Provider unterscheidet dann verschiedene Dienste voneinander und stellt beispielsweise Pakete aus „fremden“ Videodiensten nur verzögert zu. Er blockiert andere Dienste, wie das etwa bei der Internettelefonie in den deutschen Mobilfunknetzen bereits üblich ist. Das amerikanische Unternehmen Vertica, das von Hewlett Packard übernommen wurde, bietet den Mobilfunkern technische Verfahrensweisen an, wie Kunden mit hochwertigen und teuren Tarifen in den Netzen bevorzugt behandelt werden können. Bei Engpässen würden hingegen „Vielnutzer mit Flatrate-Tarifen als erste rausgeschmissen“.

          Die Provider versprechen sich von der Aushebelung der Netzneutralität die Einführung „verschiedener Qualitätsklassen“ und ein „Internet der Wahlmöglichkeiten“. Sie wollen nicht mehr allein die Daten transportieren, sondern Einfluss auf die Inhalte nehmen und ein Türwächter werden. Mautstellen sollen nicht nur für die großen Internetkonzerne mit viel Datenverkehr errichtet werden, sondern auch für private Nutzer. Wer nur im Web stöbert, surft günstiger als derjenige, der etwa zusätzlich „chatten“ möchte oder viele Bilder auf Facebook einstellt oder häufig auf den Internetseiten der Verlage Nachrichten liest. Das alles soll in individuellen Tarifpaketen festgeschnürt werden, und mit der Bevorzugung einzelner Dienste erhöhen die Internetanbieter ihren Einfluss auf diese. „Unterschiedliche Preismodelle gibt es doch schon heute: beispielsweise bei E-Mail-Services, in sozialen Netzwerken oder Inhalteangeboten. Wir sehen uns als Partner der Inhalteanbieter und wollen ihnen ermöglichen, immer bessere Angebote und Preismodelle auf den Markt zu bringen,“ sagt Telekom-Chef René Obermann.

          Während die Bundesnetzagentur „keine weiteren Vorgaben“ zum Erhalt des offenen Internets für erforderlich hält, hat die Netzneutralität in anderen europäischen Ländern einen hohen Stellenwert. Es gehe um die Freiheit der Nutzer ebenso wie um die Sicherung von Wettbewerb und Innovation. Wenn auch die Unternehmen für den Transport ihrer Daten zahlen müssen, sind die Kleinen und der Mittelstand im Nachteil. So haben in Großbritannien die zehn größten Internetprovider und Mobilfunker einen freiwilligen Kodex zur Netzneutralität unterzeichnet. In den Niederlanden ist die Netzneutralität gesetzlich vorgeschrieben, in Frankreich wird derzeit darüber beraten.

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