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Neues Zeitalter : Die einhändige Gesellschaft

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Bild: IStock by Getty

Als der Mensch die moderne Technik entwickelte, kamen stets beide Hände zum Einsatz. Die Evolution und insbesondere die Smartphone-Bedienung führen zu einer Zäsur: Künftig geht alles mit einer Hand.

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          In der Evolution des Menschen gab es eine Etappe vor mehreren Millionen Jahren, in der dieser den aufrechten Gang lernte. Eine Begleiterscheinung dieser Entwicklung war, dass der Mensch nunmehr beide Hände frei hatte und sie für andere Tätigkeiten als die Fortbewegung nutzen konnte. Das hat den weiteren Gang der Dinge maßgeblich beeinflusst: Denn der Mensch konnte seine Hände nunmehr nutzen, um Burgen zu bauen, Waffen zu schmieden oder Krüge zu töpfern. Später erlernte er auch den Umgang mit modernen Techniken wie dem Fahrrad, dem Auto oder dem Flugzeug.

          Allen diesen Tätigkeiten war gemeinsam, dass sie mit beiden Händen ausgeübt wurden. Anders wäre es wohl kaum möglich gewesen, ein Fahrrad, ein Auto oder ein Flugzeug zu steuern oder gar die Apollo-Kapsel zum Mond zu lenken. Und selbst das Telefon wurde ursprünglich mit zwei Händen bedient: Die eine hielt den Hörer, die andere bediente die Wählscheibe.

          Doch mittlerweile scheint diese Kunst der Beidhändigkeit der Vergangenheit anzugehören. Autofahrer (Innen natürlich auch) benötigen nur noch eine Hand zum Steuern ihres Wagens. Fahrradfahrer haben nur noch eine Hand am Lenker. Und selbst Mütter (Verzeihung!) schieben ihren Säugling im Kinderwagen mit nur einer Hand. Ganz zu schweigen von Busfahrern, Taxifahrern, Müllkutschern, Segellehrern, Dorfpolizisten und so weiter.

          Mit Ausnahme der Flamingos

          Was ist geschehen? Erleben wir wieder eine Etappe menschlicher Evolution, der ein ähnlich revolutionäres Potenzial innewohnt wie der vorigen? Nach dem aufrechten Gang nun die Einhändigkeit?

          Schaut man ins Tierreich, findet man nichts Vergleichbares - mit Ausnahme der Flamingos. Sie sind uns in gewisser Weise einen Schritt (!) voraus mit ihrer Fähigkeit, stundenlang auf einem Bein zu verharren. Leider bleibt jedoch unter dem dichten Federkleid verborgen, was der andere Fuß währenddessen tut.

          Beim Menschen wissen wir aus großangelegten empirischen Studien mittlerweile, was mit der anderen Hand geschehen ist (meist ist es die linke, zumindest bei Rechtshändern - was in gewisser Weise überrascht). Wie Forscher des Medical Research Center der University of Oklahoma in einer Studie mit über 1000 Probanden herausgefunden haben, ist der linke Daumen mittlerweile deutlich vergrößert. Und er entwickelt sich mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit von einem Millimeter pro Jahr, was selbst den klimabedingten Anstieg des Meeresspiegels in den Schatten stellt.

          Könnte auf das Doppelte anwachsen

          Modellrechnungen am Institut für Human-Anthropologie der Universität Freiburg haben ergeben, dass der linke Daumen eines Durchschnitts-Europäers bereits in wenigen Jahrzehnten auf das Doppelte seiner heutigen Länge anwachsen könnte. Angesichts der stetig zunehmenden Größe von Smartphones, Phablets und anderen Geräten ist dies ein kluger Schachzug der Evolution, der zudem die Debatte zwischen Lamarkisten und Darwinisten erneut beleben dürfte. Die anderen vier Finger der linken Hand, so die Freiburger Forscher, würden langfristig verkümmern und zu einer - durchaus praktischen - Fläche verwachsen.

          Dies erinnert an die Winkerkrabbe, die auch nur den rechten Arm zur Ernährung benötigt, während der überdimensional vergrößerte linke Arm ausschließlich dazu dient, das weibliche Geschlecht zu beeindrucken und anzulocken. Also doch eine weitere Parallele zum Tierreich? Und gibt es diesen Zusammenhang zwischen Einhändigkeit und Paarungsverhalten eventuell auch beim Menschen? Hier eröffnen sich viele Fragen, die künftige Generationen von Forschern beantworten müssen.

          Kultur- und Sozialwissenschaftler sind jedenfalls bereits auf den Plan getreten und diagnostizieren ein neues Zeitalter: das der einhändigen Gesellschaft. In der Lösung vom Zwang der Beidhändigkeit sehen sie einen ersten Schritt zu einer befreiten, basisdemokratischen Gesellschaft, in der die kreativen Potentiale der bislang zu Unrecht versklavten linken Hand nunmehr voll zum Tragen kommen.

          Andere warnen vor den unabsehbaren Risiken einer Entwicklung, die mit dem Verlust der - historisch gewachsenen und kulturell wertvollen - Fähigkeit des koordinierten Gebrauchs beider Hände einhergehen. Hirnforscher bestätigen diese Befürchtungen, indem sie auf die neuronalen Transmitter verweisen, die von der symmetrischen Konstitution beider Hände beeinflusst werden und wesentlich für den Erwerb und Erhalt sozial-emotionaler Kompetenzen verantwortlich sind.

          Experten des Future Society Center der renommierten Stanford University sehen hingegen bereits die nächste Etappe menschlicher Evolution am Horizont dämmern: die einäugige Gesellschaft. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wäre es dann möglich, als Autofahrer mit einem Auge den Straßenverkehr zu beobachten und gleichzeitig mit dem anderen Whatsapp-Nachrichten zu lesen. Ein wahrhaft aufregend neues Stadium menschlicher Evolution!

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