Autos der Herzen : Mit Ecken und Kanten
- -Aktualisiert am
Wer sagt denn, dass ein Auto vier Räder haben muss. Bei Morgan hat man das schon vor mehr als hundert Jahren erkannt und jetzt zu seiner Urform zurückgefunden. Der Threewheeler von 2012 hat einen V-Zweizylindermotor mit 115 PS und kommt ohne Verdeck. Das Ganze kostet die Kleinigkeit von 40.000 Euro. Bild: Morgan Motor Company
Weil die Autowelt voller makelloser Golf, Astra, Passat, Dreier, C-Klassen, Mégane und Avensis ist, soll einmal der Blick auf die Unvollendeten erlaubt sein. Auf jene, die niemals die ersten Ränge der Zulassungsstatistik erobern werden.
Diese Formen voll hinreißender Anmut und Schönheit, wer würde mit ihr nicht gerne mal einen heißen Reifen riskieren? Und dieser Blick, jederzeit dürfte er gern auf einen Espresso vorbeikommen. Die Köpfe verdrehen sich. „Worauf schauen Sie zuerst?“, fragen die Dr. Sommers in solchen Momenten, und es bauen sich Bilder im Kopf, die mit sechzig und neunzig und stahlblau zu tun haben. Aber, mal ehrlich, sind am Ende nicht die Typen mit Ecken und Kanten diejenigen, die das Leben auf Dauer bereichern? Jene, die kein perfektes Abbild der Marketingstrategen sind, sondern sich einen eigenen Charakter bewahrt haben. Weil die Autowelt voller makelloser Golf, Astra, Passat, Dreier, C-Klassen, Mégane und Avensis ist, soll einmal der Blick auf die Unvollendeten erlaubt sein, auf jene, die niemals die ersten Ränge der Zulassungsstatistik erobern werden, aber einen Platz in den Herzen. Die schon mal mit Tücken der Technik aufwarten, in denen die Ergonomie nicht auf den letzten Zentimeter ausgetüftelt ist, in denen es hier rappelt und dort zieht - die aber allesamt Emotionen erwecken, die in der massenkompatiblen Alltagsware unterzugehen drohen. Nein, es soll nicht um Oldtimer oder die immer beliebteren Youngtimer gehen, sondern um eine subjektive und selbstredend auch unvollständige Zusammenstellung solcher Gefährte, die sich irgendwie an der letzten Kontrolle der peniblen Rechner und Techniker vorbei schmuggeln und tatsächlich (noch) vom Band laufen.
Wer sich einmal mit einem Land Rover Defender durch die Stadt gequält hat, weiß, wie sich dergleichen anfühlt. Einen vernünftigen Grund, das Auto diesseits der Serengeti zu erwerben, gibt es nicht. Aber tausend unvernünftige. Seit 1948 hoppelt er über die Straßen und Äcker dieser Welt, und nur wenige können sich seinem urwüchsigen Charme entziehen. Er fährt sich wie ein alter Lastwagen, ist weder sparsam noch behende unterwegs, auf den vorderen Sitzen geht es unbequem und auf den hinteren etwas bequemer zu, in Türen und Scharnieren bleibt schon mal ein Finger hängen und bei knapp über 130 km/h geht dem rappeligen Diesel die Puste aus. Doch er bringt dich mit Charakter bis ans Ende der Welt und hat dazu noch viel Platz für die Expeditionsausrüstung - vor allem in der Version mit langem Radstand und vier Türen, dann passt eine Herde Löwen rein, sie wird still und zahm sein vor Ehrfurcht.
Ein direkter Verwandter des Defender ist der Mini, auch so ein verrücktes Ding ehemals britischer Baukunst, das früher mal in jede Hosentasche passte, innen größer war als außen, dann fast ausgestorben ist und von BMW zu neuem Kultstatus erhoben wurde. Seit 1959 wuselt er über die Straßen. Im Cooper von 2012 ist zwar mehr Platz als in dem aus den sechziger Jahren, aber das ist auch nur relativ. Die Bedienung ist genau genommen eine Katastrophe, das Fahrwerk gelinde gesagt straff, die Preis eine Unverschämtheit und die Phantasie seiner deutsch-britischen Eltern grenzenlos. Wer sich heute für einen Mini entscheidet, will das besondere Auto mit Stil und Flair, das eben nicht nach Größe schreit, sondern in der Reduktion auf das Fahrgefühl seine Stärke findet. Und wie: Rechtwinklig um die Ecke fährt sonst nur noch Nachbars Aufsitzrasenmäher, aber der kommt auf der Landstraße nicht hinterher und wirkt auch vor der Eisdiele fremder.
Dort freilich könnte demnächst ein Franzose auftrumpfen, denn Renault muss in einem Anfall betriebswirtschaftlicher Nachlässigkeit den Twizy erfunden haben. Wer hat noch gleich behauptet, Elektromobilität mache null Spaß? Von wegen. Mit dem elektrischen Stuhl - er hat zwei Plätze und vier Räder, ein größeres Handschuhfach, keinen Kofferraum, keine Heizung und nur gegen Aufpreis Türen, die aber sowieso irgendwie überflüssig sind - lässt sich in Ibiza direkt auf die Tanzfläche fahren. Die Jungs wollen ihn tatsächlich auch in Deutschland verkaufen, es gibt eine 80 km/h schnelle und eine gedrosselte Version für den Führerschein mit 16 Jahren, und da meint Renault dann wieder ganz sicherheitsbewusst, das sei allemal beruhigender als ein motorisiertes Zweirad.
Wer nun also 160 000 Euro übrig hat, der kann sich 20 Twizy oder ein Maserati Gran Sport Cabrio zulegen. Das hat trotz der Dimensionen eines Ozeankreuzers im Kofferraum ebenfalls nur Platz für eine Prada-Brieftasche, ist am geschmacklichen Rand eingerichtet, hat noch Potential in Sachen Verarbeitungsqualität und säuft wie das berühmte Loch, unter 18 Liter ist der Maserati nicht zu bewegen, mit ziemlich besten Freunden schon gar nicht. Aber dieser Sound! Diese Fahrleistungen! Diese vier Frischluftsessel!
Bevor wir Normalverdiener mit dem knackigsten aller jemals gebauten Getriebe im irdischeren Mazda MX-5 nach Hause jubeln, das Verdeck niemals schließen, weil der Kopf sowieso über den Scheibenrahmen ragt, bevor wir auf dem hinteren Deckel eine Kofferbrücke für ein hoffentlich wasserdichtes Hartschalenköfferchen montieren, weil sonst so gut wie nichts und niemand mit ins Wochenende fahren kann, bevor also dieser so genial zwischen Perfektion und Kompromiss (wo bloß sind die Schlafaugen geblieben) gezirkelte japanische Evergreen uns in die nächsten 25 Jahre begleitet, drehen wir noch eine Schleife im Morgan Three Wheeler. Keine Türen, keine Scheiben, kein Komfort, den Blick nur nach vorn der Sonne entgegen, die in Großbritannien öfter scheint, als viele glauben. Jedenfalls dann, wenn das V2-Triebwerk mit dem Jagdbomberstartknopf donnergrollend aus dem Schlaf gerissen wird und der einzige aller Hinterreifen den Asphalt teilt. Lebst du noch oder fährst du schon?