Kamera-Neuheiten : Die ganz große Ranschmeiße
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Die neue Drohne Karma von GoPro mit der gleichfalls neuen Kamera Hero5 Black (zusammen 1200 Euro). Bild: Hersteller
Muss man sich fürs Bildermachen noch besonders ausrüsten? Tut’s das Smartphone etwa nicht? So reagiert die Branche auf die im steten Sinkflug begriffenen Verkaufszahlen von Kameras für den Massenmarkt.
Alles war angeblich ganz neu auf dieser Photokina 2016, aber ganz viel auf ihr ist auch wie immer, wie vor zwei, vier oder auch schon vor sechs Jahren. Riesengroße Messen haben eben – wie erfolgsverwöhnte Industrien – einen riesengroßen Wendekreis. Aber auch wer nicht der Illusion erliegt, ein solches Weltereignis wie das in Köln werde nur inszeniert, um ein paar neue Kameras zu präsentieren, konnte dort aus dem allmählichen Wandel Erkenntnisgewinn ziehen.
Dass sich die Fotobranche ändern und mit der Zeit gehen müsse, das haben ihr deutscher Industrieverband, einzelne Hersteller und die Messe schon vorher wiederholt plakativ verkündet. Der Grund dafür läuft überall auf der Photokina herum: Jede und jeder hält sein Smartphone hoch. Das macht Bilder, stehend und bewegt, in immer besserer Qualität und mit Funktionen wie nachträglicher Fokussierung, die bis vor kurzem ausschließlich Digitalkameras vorbehalten waren.
Niemals zuvor wurden der Schrecken wie die Schönheit und die Banalitäten des alltäglichen Lebens so häufig abgebildet wie heute - ob Tsunami, Terroranschlag oder nur ein fetter Burger. Kein Bild ist schneller gemacht (und rund um die Welt verbreitet) als ein Smartphone-Bild. Nun ist eine jüngere Generation da, die eine Nur-Kamera einfach nicht mehr braucht. Von ihnen hat schließlich jede und jeder – überwiegend nicht nur eine, sondern mindestens zwei – Kameras bei sich, wo immer diese Generation liegt, geht, isst oder steht. Die Photokina 2016 war die Arena, um zu zeigen, wie die Branche auf diese Bedrohung durch die seit 2008, dem Jahr eins nach dem ersten iPhone, im steten Sinkflug begriffenen Verkaufszahlen von Kameras für den Massenmarkt reagiert.
Offene Wege für Nikon
Da wäre etwa der seit mehr als einem halben Jahrhundert höchst renommierte japanische Spiegel-Reflex-Hersteller Nikon, der theoretisch zwei Wege offen hätte: Er könnte ganz auf teure und superteure Ausrüstung für den kleinen Markt der Profis und der Profi sein wollenden Hobby-Fotografen setzen. Dort ist aber erstens die Luft dünn, und außerdem tummeln sich da schon etliche Konkurrenten, die ihre in den analogen Jahren redlich erworbene Reputation zurzeit mit kräftigem Preisaufschlag ausmünzen wollen. Also Plan B: Nikon wird, und das wurde als „exciting“ und Überraschung für Köln angekündigt, im November nun mit gleich drei Actionkameras herauskommen, ein für das Unternehmen neues Geschäftsfeld. Neu sind außer der bereits zuvor angekündigten Key Mission 360 die Modelle Key Mission 170 und 80. Die Zahlen geben jeweils den Bildwinkel an, die Preise liegen zwischen rund 500 und 300 Euro. Die KeyMission 80 bringt als preisgünstigstes Modell sogar zwei Objektive mit: außer der 12-Megapixel-Hauptkamera um 90 Grad versetzt eine 5-Megapixel-Kamera, natürlich für Selfies.
Action, das ist eins der Zauberwörter, mit denen die Photokina 2016 geradezu krampfhaft versucht, es einem jungen Publikum recht zu machen. Statt der Greifvögel auf dem Freigelände wie in der Vergangenheit schwirrten über den Besuchern dieses Jahr mehr Drohnen denn je. Sie sind unter dem Titel Copter World zu einem Schwerpunktthema erklärt worden – mit Profis als Show-Piloten und für die Besucher mit der Möglichkeit zu Testflügen. Actionkamera-Platzhirsch GoPro kommt im Oktober mit einer eigenen, der faltbaren Drohne Karma (knapp 900 Euro ohne Kamera). Die stabilisierende Aufhängung der Kamera lässt sich abnehmen und auf einem mitgelieferten Handgriff nutzen. Gesteuert wird Karma auf dem Touchsceen eines eigenen Controllers. Neu sind die Kamera-Modelle Hero5 Black und die abgespeckte Hero5 Session. Die ist ohne Gehäuse bis zehn Meter wasserdicht, beide Kameras haben Sprachsteuerung. Ob das beim Schnorcheln klappt?
Billigste Leica, die es je gab
Ebenfalls auf junge Leute zielt die wohl billigste Leica, die es je gab. Man muss aber nicht einmal in die technischen Daten der Leica Sofort gucken, die im November für schlappe 280 Euro kommen soll, sondern nur auf ihr Gesicht, um sogleich zu erkennen, dass es sich um ein Derivat der Fujifilm Instax Mini mit begradigten Gehäusekanten handelt. Verglichen mit dem Preis des Originals, verlangen die Wetzlarer rund das Dreifache. Wie die Japaner es längst erfolgreich tun, setzt auch Leica beim Zubehör auf allerlei Schnickschnack, zum Beispiel auf das gute alte Fotoalbum. Die Sofort kommt in Weiß, Orange und Mint.
Zur Erinnerung: Von der Instax Mini gibt es eine Hello-Kitty-Variante mit rosa Schleifchen. Den altgedienten Leica-Fan aber kann nur erschüttern, dass tatsächlich auf dem Objektivtubus steht: Automatik-Hektor 1:12,7/60. Wie sich das Objektiv mit seinen drei Fixfokus-Einstellungen gegenüber der genauso rastenden Instax Lens 60mm einer Neo Classic von Fuji schlägt, wird auszuprobieren sein. Doch ach, Hektor, das war in grauer Vorzeit des M39-Gewindes der Name eines ersten lichtstarken Objektivs zur Leica - und nun ist die größte Öffnung der Leica Sofort 1:12,7? Werbend gibt Leica die Sofort jungen Frauen, die auf Surfer mit VW Bully stehen, in die Hand. Dazu die Botschaft: Frame the Moment. Klar, machen wir, machen wir doch längst, möchte man erwidern, meistens aber mit unserem Samsung oder Huawei.
Die Frau, das fotografierende Wesen, hat schon seit längerem Olympus genau im Fadenkreuz mit seinen Pen-Modellen: Neu ist die Pen E-PL8, und die haben die Frauenversteher aus Tokio wieder schick hingekriegt. Den Gatten, der die Damenkamera zu Weihnachten als Kit mit dem 14-42-Pancake für rund 600 Euro verschenken kann, umgarnt Olympus mit der – vorerst nur ohne Datum und Preis angekündigten – zweiten Auflage der OM-D E-M1. Die Mark II - solche Bezeichnungen, wie sie auch mit höherer Ordnungszahl etwa bei Canon sehr beliebt sind, scheinen den Ernst von Kontinuität und Professionalität signalisieren zu sollen - ist noch nicht marktreif, wird aber schon als Renner gehandelt. 18 Bilder in der Sekunde mit nachgeführtem Autofokus, das ist dann schon ein echter Markstein. 4k-Video gibt’s obendrauf. Doch lieferbar wird erst einmal nur die Pen E-PL8 sein, und zwar, man lasse es sich auf der Zunge schmelzen, als „Social Media Item mit Touch-Selfie-Funktion“ für „Blogger, Fashionistas und Millennials“. Dieser Kreis, definitiv kein Ü35-Club, bekommt aber bloß den 16-Megapixel-MFT-Sensor spendiert, nicht den mit 20 Megapixel.
Neues Canon-Schlachtschiff
Apropos Canon: Die schicken mit der schon vor der Photokina in See gestochenen EOS 5D Mark IV ihr neues Vollformat-Schlachtschiff ins Rennen. Vielleicht noch etwas mehr Aufmerksamkeit auf der Photokina fand Sony, wo pünktlich die Alpha 99 II vom Stapel gelassen wurde. Die Kamera hat einen Vollformatsensor (42 Megapixel) und einen neuen Hybrid-Autofokus, der auch noch bei ganz schwachem Licht (-4 EV) sauber scharfstellen können soll. Mit ihm werden zwölf Aufnahmen in der Sekunde bei Nachführung der Schärfe möglich. Sony will seine A99 II noch im November für etwa 3600 Euro (Gehäusepreis) auf den Markt bringen. 4k-Video ist selbstverständlich, und auf Anhieb gab es jede Menge Vorschusslorbeeren. Es ist zwar nur ein Zitat aus dem Netz, aber es klingt auch auf Deutsch einfach zu schön: Da hieß es, diese Sony sei die Video-Kamera, für die Canon-Nutzer hätten sterben mögen.
Mal abgesehen davon, dass es null Kameras gibt, für die es sich zu sterben lohnt, sehr wohl aber Kameras, die als Kugelfang ihr Leben für ihre Benutzer ließen, bekommt Sony weit unter der 3500-Euro-Klasse des Vollformats neue Konkurrenz. Panasonic bringt die Lumix LX15 als „Edel-Kompakte“ mit 1-Zoll-Sensor, und die sieht einer RX 100 von Sony so etwas von ähnlich, dass man von einem Klonkrieger sprechen könnte. Und für alle, die das Handyfotografieren definitiv hinter sich gelassen haben und gern einen auf ganz dicke Hose machen, dafür aber auch ein bisschen mehr berappen wollen und können, hat Fujifilm nächstes Jahr die GFX 50S im Angebot: Die spiegellose Mittelformatkamera mit abnehmbarem Sucher hat einen 43,8 × 32,9 Millimeter großen Sensor mit 51,4 Megapixel und natürlich ein neues Bajonett. Sechs Objektive wurden angekündigt.
Wollen wir bitte zum Schluß nicht moralin-säuerlich der Photokina vorhalten, dass sie wie verzweifelt jeder Mode hinterherrennt. Sie war auch mit der diesjährigen Auflage ein Fest des Bildes.