Aus einer anderen Zeit: Der früher herausragende Nakagin Capsule Tower wird heute längst in den Schatten gestellt. Bild: Patrick Welter
Nakagin Turm in Tokio : Ein Zukunftssymbol wird abgerissen
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Architektonisch ist der Nakagin Capsule Tower in Tokio wertvoll. Trotz Protesten durch die Bewohner soll er nun abgerissen werden: Das Gebäude ist herunterkommen – und steht auf teurem Baugrund.
„Im Winter ist es kalt“, sagt Tatsuyuki Maeda. Die Decke, der Boden und drei von vier Außenwänden der Ein-Zimmer-Apartments sind dann direkt der kalten Luft ausgesetzt. „Im Sommer ist es extrem heiß, weil man das Fenster nicht öffnen kann.“ Die Wohnbedingungen, die Maeda beschreibt, sind alles andere als angenehm. Und doch hängt das Herz des 54 Jahre alten Japaners an dem Gebäude, in dem er 15 Apartments besaß. Im Dezember hat Maeda wie die anderen noch verbliebenen Besitzer seine Wohnungen an die Gesellschaft verkauft, der das Grundstück gehört. Damit ist das Schicksal des Nakagin-Kapselturms am Rande des luxuriösen Ginza-Einkaufsviertels in Tokio besiegelt. Der Verkauf des Grundstücks und der Abriss sind absehbar.
Seit mehr als einem Jahrzehnt kämpfte Maeda mit Gleichgesinnten für den Erhalt des Gebäudes. Der 1972 gebaute Nakagin Capsule Tower ist das Symbol des Metabolismus, einer japanischen Architekturbewegung, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Westen Furore machte. Gebaut von dem international bekannten Architekten Kisho Kurokawa, ist der Turm auch ein Zeichen der Zukunftshoffnungen in einem Japan, das in den Nachkriegsjahrzehnten mit rasantem Wirtschaftswachstum zur Nummer zwei in der Welt aufstieg und erst viel später von China überholt wurde.
Denkmalschutz hat wenig Chancen
Mit seinen 140 Wohnkapseln, die an zwei Aufzugs- und Versorgungstürmen angedockt sind, verkörpert das Gebäude wie kein anderes die Theorien der Metabolisten. Danach sollte die Architektur sich wie im Gewebe eines Organismus an die steten Änderungen von Stadt und Gesellschaft anpassen und mitentwickeln. Kurokawas Plan: die Wohnkapseln regelmäßig auszutauschen und zu modernisieren, so wie Zellen im Körper. Deshalb der Name Metabolismus oder Stoffwechsel.
Doch Ginza, mitten in Tokio, ist die Gegend, in der die teuersten Grundstücke in Japan zu finden sind. Da ist nicht viel Platz für Gebäude, deren Wert vor allem in ihrer Bedeutung für die Architekturgeschichte liegt. Mit 50 Jahren sei das Gebäude noch viel zu jung, um in Japan als schützenswert zu gelten, sagt Tatsuyuki Maeda. Zumal in Japan, das an Zerstörungen durch Erdbeben, Vulkane und Tsunamis gewöhnt ist, Häuser nicht für die Ewigkeit gebaut werden und schneller als im Westen dem Neuen weichen. Denkmalschutz, wie man ihn in Deutschland kennt, hat da wenig Chancen.
Vor einigen Jahren sammelten Maeda und andere Anhänger des Turms fast 10.000 Unterschriften für den Erhalt des Gebäudes und überreichten sie der Gouverneurin von Tokio, Yuriko Koike. Die Stadt habe es aber nicht für angemessen gehalten, Geld in ein privates Projekt zu stecken, sagt Maeda. Jetzt hoffen er und seine Mitstreiter, dass zumindest einige Dutzend der Kapseln gerettet und in Museen in Japan, in Europa und in Amerika ausgestellt werden können.