Fotograf Christoph Moeskes : Ist das nun seine oder meine Kunst?
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Aus der F.A.Z. vom 7. März 2007: Unser Autor hat an einer Brücke in Tiflis georgische Tagelöhner fotografiert. Bild: Christoph Moeskes
Meine Fotos von georgischen Tagelöhnern wurden vor 16 Jahren in der F.A.Z. veröffentlicht. Nun entdeckte ich sie plötzlich wieder – als Werk eines Künstlers.
Vergangenen Sommer habe ich mich mal wieder selbst gegoogelt. Man will ja wissen, wo man steht – im Leben und im Netz. Und siehe da, dieses Mal stand ich in der Kunsthalle Wien! Dort standen 2018 Dutzende Frauen und Männer auf einer Art Spanplattenboden herum und machten das, was man in Ausstellungen eben so tut. Sie unterhielten sich, verschränkten die Arme, baumelten mit den Handtaschen.
Warum hatte die Google-Bildersuche mich hierher geschickt? Ich war 2018 nicht in Wien, geschweige denn in der von künstlichem Deckenlicht gefluteten Wiener Kunsthalle. Aber ich war 2006 in Tiflis gewesen, wo ich eine Reihe georgischer Tagelöhner fotografiert hatte. Die acht Fotos erschienen am 7. März 2007 mit einem Text von mir unter der Überschrift „Vom Kollektiv zum Konjunktiv“ in der F.A.Z.
Und ebendiese Männer, die sich damals tagein, tagaus die Füße plattgestanden hatten an einer Ausfallstraße in der georgischen Hauptstadt, waren nun auf den Boden der Kunsthalle gemalt. Ich erkannte sie sofort, den jungen Mann im Ringelpulli, den älteren mit Wollmütze und Zigarette, den dritten mit ausgestrecktem Bauch, über den sich ein dünner Anorak spannte. Fotorealistisch abgemalt und überlebensgroß lagen sie dem Wiener Publikum zu Füßen. Ich war platt, genauso platt wie die Männer mit ihren Bohrmaschinen und den lässig in die Hosentaschen gesteckten Händen.
Bloß kein Größenwahn
Ist ja toll, dachte ich. Meine Bilder sind jetzt Kunst! Nicht dass es mir je darum gegangen wäre. Stolz war ich trotzdem, geradezu gebauchpinselt fühlte ich mich. Hieß das nicht, dass ich jetzt auch zum Künstler geworden bin?
Doch halt, bloß nicht größenwahnsinnig werden! Noch war ich nicht in einer Einzelausstellung gewürdigt, sondern nur in einer Gruppenausstellung. Neben den georgischen Tagelöhnern waren weitere großformatige Bilder auf dem Spanplattenboden verstreut. Aus der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. April 2006 war ein Springreiter gemalt. Die „NZZ am Sonntag“ vom 15. September 2013 hatte eine verschneite Bergkuppe gestiftet. Aus dem „Wall Street Journal“ vom 10. April 2018 hatten fossile Knochenfunde ihren Weg nach Wien gefunden.
Insgesamt 22 Zeitungsfotos hatte der Künstler Olaf Nicolai gesammelt, um sie für seine Ausstellung „There Is No Place Before Arrival“ von Theater- und Straßenmalern auf dem Boden der Kunsthalle nachmalen zu lassen. Ich fand das super, was da vom 13. Juli bis 7. Oktober 2018 in Wien zu sehen war. Weniger schön waren allerdings die Schuhabdrücke, welche die Besucher auf einem der Tagelöhner hinterlassen hatten. Sie waren deutlich auf einem der Fotos im Netz zu erkennen, denn der Fotograf hatte seine roten Chucks gleich mit aufgenommen.
Ich lud mir ein PDF des Ausstellungskatalogs herunter, sah die verschneite Bergkuppe aus der „NZZ“, sah den Springreiter aus der „Süddeutschen“, sah Rechtsradikale in Sakkos, sah schlafende Mazedonier, und endlich, auf Seite 16, sah ich auch den alten, längst vergessenen Zeitungsausschnitt. Ärmlich sahen sie aus, die acht Tagelöhner, trotzdem würdevoll, fast ein bisschen stolz. Darunter stand: „Vom Kollektiv zum Konjunktiv, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 56, 7. 3. 2007, S. 9, Foto: Christoph Moeskes“.
So also hat Google mich gefunden, mein Name war in dem PDF versteckt. Für einen fast berühmten Nachwuchskünstler wie mich war das vielleicht ein bisschen zu bescheiden. Doch immerhin war ich nun auf Augenhöhe mit Peter Handke und Giorgio Agamben. Nicolai hatte im Ausstellungskatalog jedem Zeitungsausschnitt eine Reihe von Zitaten beigefügt, neben dem Schriftsteller und dem Philosophen waren auch René Pollesch und Billy Ocean („Get Outta My Dreams,Get Into My Car“) vertreten. Am besten gefiel mir das Zitat von Sappho. „Das Geld ohne menschlichen Wert / wohnt, um zu schaden, bei uns“, schrieb die bedeutendste Dichterin des antiken Griechenlands. Ich war in bester Gesellschaft. Das wird ja immer doller, dachte ich. Meine Bilder sind Konzeptkunst!