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Rita Thiele im Porträt : Im Maschinenraum des Theaters

  • -Aktualisiert am

Rita Thiele, Chefdramaturgin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, in ihrem Büro. Bild: Jana Mai

Rita Thiele ist eine der bekanntesten deutschsprachigen Dramaturginnen. Was genau macht sie in dieser Funktion im Schauspielhaus Hamburg? Und was haben Elfriede Jelinek, Karin Beier und Claus Peymann damit zu tun?

          8 Min.

          Erster Akt

          Es war der Osterhase. Nein, Gerhard Polt mit seinem legendären Nikolausi-Osterhasi-Sketch kann nichts dafür. Georg Büchner mit seinem Lustspiel „Leonce und Lena“ war schuld, dass Rita Thiele in einer Theatervorstellung plötzlich laut und unvermutet ausrief: „Der Osterhase!“ In diesem Stück taucht der zwar nicht auf, doch als König Peter vom Reiche Popo in Jürgen Flimms Inszenierung aus dem Jahr 1981 auftrat und zu sprechen begann, erkannte sie die Stimme als diejenige aus einem der Hörspiele des WDR, die ihr Vater mit dem Tonband aufgenommen und seinen Kindern zur Ablenkung vorgespielt hatte, wenn sie krank waren. Nun fiel ihr das in einem Zelt am Prager Platz in Köln wieder ein, dem Ausweichquartier des Schauspielhauses, das gerade wegen Asbestsanierung geschlossen war.

          Das Zelt war klein, man saß eng beisammen, sodass viele Zuschauer verwundert den spontanen Aufschrei „Der Osterhase!“ hören konnten. Rita Thiele, damals noch Studentin der Geschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft, weiß bis heute nicht, ob auch Heinz Schacht auf der Bühne ihren Zwischenruf vernommen hatte. Sie lacht, als sie das erzählt, denn es ist das kurioseste Ereignis in ihrer langen Laufbahn: „So fing es an mit mir und dem Theater.“

          Von einer Statistin zur Dramaturgin

          Was dann folgte, ist eine der eindrucksvollsten Karrieren im Theaterbetrieb. Dabei waren ihre Eltern – der Vater Mathematiker, die Mutter Kindergärtnerin – keineswegs theateraffin. Zum Weihnachtsmärchen gingen sie schon mal mit den Kindern, öfter nicht. Aber Rita Thiele, geboren 1954 in Essen, besserte ihr Taschengeld als Statistin im Theater Oberhausen auf. Das hatte einen guten Ruf, vor allem durch Regisseur Günther Büch (1932–1977), der neben Claus Peymann als Entdecker und Förderer von Peter Handke gilt und etliche Stücke von ihm zur Uraufführung brachte. Wenn Rita Thiele dort während der Proben auf der Bühne stand, sah sie im dunklen Saal den Regisseur, den Dramaturgen, die Kostüm- oder Bühnenbildner, die Assistenten, und oft tuschelten sie miteinander. „Was haben die bloß so viel miteinander zu besprechen?“, fragte sie sich: „Machen wir etwas falsch? Geht es um den Text? Passt das Licht nicht?“

          Mit Notizbuch und Nashorn: Vieles spielt sich bei Rita Thieles Arbeit am Schreibtisch ab, unter Ausschluss der Öffentlichkeit – der andere Teil sind die Proben, die sie mit kritischem Blick verfolgt.
          Mit Notizbuch und Nashorn: Vieles spielt sich bei Rita Thieles Arbeit am Schreibtisch ab, unter Ausschluss der Öffentlichkeit – der andere Teil sind die Proben, die sie mit kritischem Blick verfolgt. : Bild: Jana Mai

          Es ließ sich nicht immer beantworten, aber es wurde ihr klar: Dieses ganze Theater interessierte sie brennend. Irgendwann wollte sie auch da unten sitzen und mitreden. Es dauerte noch eine Weile, bis es so weit war, aber es hat geklappt. Zuerst schrieb sie ihre Magisterarbeit in Geschichte. Titel: „Der Export deutscher Frauen nach Deutsch-Südwestafrika zwischen 1898 und 1914“. Wenn man bedenkt, wie stark Kolonialsujets den aktuellen künstlerischen und theatralen Diskurs bestimmen, kann man ihr zu ihrer thematischen Weitsicht nur gratulieren.

          Ihr Professor riet ihr, das als Doktorarbeit fortzuführen. Allerdings hatte Rita Thiele schon während des Studiums mit anderen Betätigungsfeldern jenseits des Akademischen geliebäugelt und wechselte nach dem Examen lieber für zwei Jahre als freie Autorin zum WDR. Das Genre Dokumentarfilm interessierte sie. Gemeinsam mit ihrer Freundin Nina Hellenkemper drehte sie einen Film über Nachkriegsflüchtlinge im Alten Land nahe Hamburg. Das Thema fesselte sie so sehr, dass sie das Budget gnadenlos überzog und sich gehörig verschuldete. Daraufhin sagte sie sich geknickt: Wer kein Händchen für Geld hat, sollte sich eher nicht auf solche frei finanzierten Projekte einlassen.

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